Schneewittchen-Ultra: Die Rache des Eisenzwergs

Irgendwo, scheinbar am Ende der Welt, in einem Kaff in Hörsum, da finden sie statt -diese mehr oder weniger geheimen Ultraläufe. Dort wo sich alle treffen, die anscheinend keine Dauerkarte ihres Lieblingsfußball-Vereins, besitzen. Wo man noch mit Postkarte eingeladen wird. Dieses Mal beim -Schneewittchen-Trail-, wobei sich die 50 Meilen Variante „Eisenzwerg“ schimpft.

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Familiär, herzlich und genau so sarkastisch wie ich es mag. Und kalt. Denn nach unserer Anreise mit Silvan (gemeldet für 53km), Georg (gemeldet für 80km, aber leider krank) und meine Wenigkeit (ebenfalls gemeldet für die volle Zerstörung), war die Heizung unseres Zimmers komplett ausgefallen. Oder unserer Vermutung nach, war sie noch niemals angewesen, denn das Gemäuer erzählte seine eigenen Geschichten mit dem kalten Hauch des Grauens.

Ich fasse zusammen: ein kranker DNSler und eine noch-nicht kranke Starterin versuchen sich vor dem Erfrieren zu retten, während Silvan in seinem Zimmer nebenan die Wärme seiner Heizung genießt. Wir vermuteten ein geheimes Spa hinter der Wand, denn uns fehlten sogar jegliche Handtücher, während er quasi den gesamten Bestand im Bad hängen hatte 😀 Drei bis vier Hausmeister später, wurde es dann auch bei uns wieder warm.

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Briefing am Vorabend (c) Bert Kirchner

Abends waren wir zusammen mit allen Läufern zum Gelage am Buffet geladen, aber schon nach den ersten harmlosen Nudeln, machte mein Magen dicht. Was folgte, war ein leicht gequältes Essen aus Vernunft. Das konnte ja heiter werden. Mein Magen und ich, schon immer ein Dreamteam.

Um spätestens 21 Uhr versuchte ich es mit zwanghaften Schlafen, denn der Wecker sollte mich bald schon wieder um 4:30h aus dem Schlaf reißen und etwas angeschlagen fühlte ich mich auch immer wieder. Mein neu entdeckter Reizhusten ließ mich zusammen mit Georg nachts um die Wette hüsteln und als der Wecker mit dem Titel „4:30h du kranke Sau“ klingelte, hatte ich einen ganz kurzen Moment des Neids, als ich Georg schlafend zurück ließ, um mich zu den anderen Starten in den Frühstücksraum zu gesellen.

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Es ist eigentlich wie immer, so früh ist einem eigentlich noch zu kalt, jeder nestelt an seinem Rucksack herum, kippt Koffein, macht die üblichen Witze und deponiert wichtige Utensilien für die VPs. In meinem Fall war das nur zwei Mal Maurten und eine Box mit Reisbällchen. Zum Glück konnte ich mir noch Georgs Stirnlampe schnorren, denn ich war nicht im Traum darauf gekommen, dass es beim Start um 6 Uhr morgens, noch hätte dunkel sein können. Aber damit war ich nicht alleine, denn auch Katrin Grieger hatte ähnlich viel Verstand und musste sich notgedrungen in den Lupinen-Schein ihres Mannes hängen.

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(c) -Frank Jungclaus-

Wir versammelten uns alle, mehr oder weniger zitternd, vor dem Hotel. Es nieselte leicht. Ich startete die Navigation und wollte den ersten Track laden, denn wie auch schon beim KiLL50, hieß es auch hier wieder „Selbstnavigation“. Aber kein Track war mehr zu sehen. Mein Herz machte einen Satz. Das war einfach nicht möglich! Ich klagte den anderen mein Leid. Jetzt hieß es wohl erst recht für mich, einfach dranzubleiben…

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(c) -Frank Jungclaus-

Alle wollten los. Michael lachte nur sein fieses Lächeln: Atomuhren seien egal, auf sein Geheiß hin wurde gestartet, nicht früher und nicht später. Eine Startlinie gab es nicht, wir standen einfach alle im Kreis, bis es ganz unspektakulär, einfach „Los!“ hieß. Matthias wetzte vorne weg und ich hängte mich im sicheren Abstand hinter Katrin und ihren Mann, die sich mir schon bald als eingespieltes Team erwiesen. Das Tempo war nicht ganz so gemütlich, aber auch nicht unangenehm. Knapp hinter mir befand sich meine KiLL50-Lauf-Ehefrau Thomas mit anderen Jungs, sowie ein mir noch unbekanntes Gesicht (Christoph) mit Hund Moya. Noch waren alle nicht so gesprächig, aber spätestens, als die Waldwege sich immer mehr schlängelten, war ich auf die Navis der anderen angewiesen.

Ein paar Abzweigungen später, war die Sache klar: wir waren falsch! Zu Viert standen wir leicht planlos herum, verloren die Sicht auf die Führenden und liefen erstmal einen halben Extrakilometer, ehe wir uns wieder auf dem richtigen Track befanden. Alternativ hätten wir noch die drei Karten von Michael gehabt. Diese waren aber relativ nutzlos, wenn man sich nicht entschied, von Anfang an den Finger auf der Strecke mitlaufen zu lassen. Mittlerweile war es fast hell, jedoch immer noch regnerisch und nebelig und ich wurde mir gewahr, dass ich tatsächlich auf andere angewiesen war. Es gab zwar auch Markierungen, aber diese waren nicht immer so eindeutig oder man sah sie erst zu spät.

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(c) -Frank Jungclaus-

Nach den ersten Anstiegen, folgten erstmal matschige Downhills, die sich gewaschen hatten: quasi durch Wildschwein-Tümpel und tiefen Harvester-Spuren ging es über Stock und Stein hinab. Bei jedem Schritt zog es mir fast die Schuhe aus und es war eher ein „Sliden“, anstatt Laufen. „The Slide to Jamie“ macht an dieser Stelle auf jeden Fall mehr Sinn (Danke Jakob, ich werde es wohl nicht mehr los). Die Schuhe selbst, hatten schon bald so etwas wie eine zweite Sohle aus Matsch, Steinchen und Laub.

Schon nach 10 Kilometern hatte ich ein leicht merkwürdiges Gefühl im Magen. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Es ignorieren und weiterlaufen (wie immer) oder schon jetzt etwas essen. Ich entschied mich für Nummer 2 und friemelte einen meiner selbst gebackenen Kekse aus meinem Rucksack. Ohne Mampf kein Kampf oder so. Ich hatte ziemlich viel Salz darin verbacken, aber dann brauchte ich wenigstens keine Salztabletten zu nehmen. Nach ein paar Minuten verschwand das komische Gefühl wieder und ich wusste, ich fuhr endlich mal die richtige Strategie.

Meine andere Strategie war, möglichst alle Anstiege durchzurennen. Bei etwa doppelt so vielen Höhenmetern, wie beim KiLL50 auf ebenso 80km, würde ich ansonsten wohl nie ankommen. Das hieß also umso mehr essen, essen und nochmals essen.

Mein nächster größerer Verlaufer ließ nicht lange auf sich warten und das bedeutete auch, die Gruppe meiner Lauf-Ehefrau zu verlieren. Ich ließ mich zurückfallen in die dreier-Gruppe aus Christoph, Lutz und Jürgen. Die ersten 14km waren im Kasten und mit ihnen auch die ersten 500 Höhenmeter. Ich sah aber auch meine aktuelle 6er Pace in Gefahr, die sich durch das Rumgestehe und Gesuche, immer schneller nach oben entwickelte. Ich versuchte mein Handicap einfach anzunehmen und das beste daraus zu machen. Der GPS Empfang war teilweise so grottig, dass es auch mit Navi immer wieder Probleme gab. Sahen wir wiederum die gelben Pfeile mit Rauten, wussten wir, wir waren auf dem richtigen Weg.

Alle 10 bis 15km gab es unbemannte VPs, die in Kisten oder auf kleinen Tischen untergebracht waren. Das machte es im Kopf auch etwas einfacher, da sich die Strecke in mehrere kleine Stücke unterteilen ließ. Ich lief mit nur einer gefüllten Softflask, die ich erst nach knapp 20 Kilometer das erste Mal auffüllte.

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Erneutes Zusammentreffen (c) -Frank Jungclaus-

Auf einem der Wildsau-Downhills, verlor ich die Jungs aus den Augen. Damit war ich alleine. Jetzt war Orientierung gefragt. Einige Markierungen brachten mich weiter, bis ich wieder anfing herumzuirren. Ich wollte einfach nur vorwärts kommen, stattdessen trat ich auf der Stelle, beinahe unfähig mich zu entscheiden, in welche Richtung ich laufen sollte. Ein paar Baumstämme und Schlammlöcher später, war ich wieder richtig und rannte an einer kleinen Hütte vorbei, aus dessen Inneren es plötzlich schrie. Da standen meine Jungs und eine nette Dame, die unsere Namen und Uhrzeiten nahm. Ich war mittlerweile 18 Minuten im Rückstand auf Katrin. Das stimmte mich wieder etwas milder, denn es fühlte sich an, als sei ich die letzte im Feld. All zulange hielt ich trotzdem mich nicht auf. Guter Laune liefen wir gemeinsam das Feld hinab zur Straße und wieder leicht hoch Richtung Dorf. Das nächste Orientierungsproblem lauerte schon – jedoch konnten wir uns mit drei Handhelds dann doch noch einigen.

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(c) -Frank Jungclaus-

 

Hund Moya entpuppte sich als unbegrenztes Energiebündel, tobte um uns herum, fetzte die Anstiege hoch und machte mich teilweise etwas neidisch auf ihre vier flinken Beine. Etwa 4 Kilometer vor der ersten großen VP im Hotel, zogen wir uns wieder auseinander. Ich war wieder alleine und, wie sollte es anders sein, verlief ich mich 1,5km vor der VP. Ich sah keine Markierungen mehr und mein Pfad mündete in harschem Gestrüpp, durch welches ich hindurchsteigen musste, ehe ich am Waldrand herauskam. Ich wusste nur, dass ich wieder durch das Feld in Richtung Dorf musste, aber nicht, in welche Richtung. Das erste Mal zückte ich mein Handy, um meine Position auf einer Karte einzusehen. Aber wie sollte es anders sein: nicht einen Balken Empfang. Also lief ich jeden Weg ein Stück entlang, bis ich wieder auf Markierungen stieß. Dabei ließ ich wieder ordentlich Zeit.

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(c) Bert Kirchner

 

Irgendwann bemerkte ich, dass meine Uhr einfach gestoppt hatte und startete sie wieder… Nach diesen Markierungen, eröffnete sich mir das freie Feld. Wieder hin und her, bis ich mich entschied, bis zur Straße zu laufen.

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(c) Bert Kirchner

Ein gelber Pfeil, der geradeaus in die Straßen zeigte. Ich dachte ich sei gleich da, aber da hörte es einfach auf mit den Markierungen. Also fragte ich jeden den ich unterwegs traf, wo es denn zum Hotel ginge, was auch nicht einfach war, denn es waren kaum Leute auf den Straßen. Es machte mich schier wahnsinnig. Ich verlor weitere 15 Minuten, ehe ich völlig entnervt in der VP einfiel, glücklicherweise aber auf die Jungs traf.

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Georg filmte das Elend, nahm mir die Lampe ab, schüttelte mir Maurten zurecht und wies mich an, sofort wieder auf die Strecke zu gehen, um mich an die anderen anzuhängen. Irgendwoher bekam ich plötzlich ein Navi mit dem zweiten Track in die Hand gedrückt. Draußen standen schon die anderen, wir setzten uns in Bewegung und schon nach zehn Metern diskutierten wir schon wieder, ob wir nun links oder rechts hinauf laufen müssen. „Der Zwerg in der VP hat gesagt rechts lang!“ (Ja einige Helfer waren tatsächlich als Zwerg verkleidet gewesen..)

Mein Frustrationslevel stieg immer weiter. Ich versuchte ruhig zu bleiben, den Mund zu halten und meine Beine zu ignorieren, die mittlerweile etwas maulig waren. „Warte einfach 40 Minuten, dann gehts dir wieder besser“. Und genau so war es. Ich war auf Betriebstemperatur und im Ultra-Modus angekommen. Zudem konnte ich endlich selbst navigieren, sodass ich nicht mehr so sehr auf die anderen achten musste. Unsere Tempi waren ziemlich ungleichmäßig, so richtig zusammen blieben wir nie, bis auf einen Abschnitt, der unserer aller Laune ziemlich hob: schmale Serpentinen-Laub-Downhills und eine kleine Aussicht mit Bank, plus gemeinsames Foto 🙂

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(C) Lutz Geske

Später lief ich wieder einige Zeit mit Christoph, dann mit Jürgen – wir plauderten. Im Anstieg zog ich vorbei, hängte mich an Lutz. Weitere fiese Rampen taten sich auf, rennen unmöglich. Stöcke wären aufgrund der Bodenverhältnisse von Vorteil gewesen, das hatten Lutz und Christoph richtig gemacht, während ich mich auf meine Oberschenkel stützte, von Moya umrundet wurde und einfach nur oben ankommen wollte.

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Jürgen und ich (c) -Frank Jungclaus-

Der Abstand wurde größer, ich kam wieder auf einen ansteigenden Waldweg, lief auf Lutz auf und gemeinsam verschwanden wir auf Singletrails in Matschgruben, bedeckt mit unendlich viel Laub. Er stiefelte mir wieder davon und ein paar Kilometer später, sah ich niemanden mehr. Mein GPS sagte mir, ich sei auf dem falschen Weg. Die Markierungen an den Bäumen, erzählten mir aber etwas anderes. Ich war verwirrt. Lief ein Stück herunter, aber der Pfeil sprang nicht mehr auf den Track. Also lief ich alles wieder hoch, drehte und wendete mich. Irgendwann kam Christoph. Gemeinsam entschieden wir uns für den Weg, den ich bereits drei Mal gelaufen war. Er war doch der richtige… Ich biss die Zähne aufeinander. Unfassbar!

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(c) Bert Kirchner

 

Zeit wieder Tempo zu machen. Den Beinen ging es besser. Ich mampfte ununterbrochen Kekse, packte den ersten Haferriegel aus. Wenigstens die Energie ging mir nicht aus und ich spürte, dass ich noch immer gut die Berge heraufrennen konnte. Die nächste große VP erwarteten wir bei Kilomter 46, Adamishütte. Ich nahm die Beine in die Hand und versuchte gutzumachen, was ich verloren hatte. Ganz und gar würde ich das niemals schaffen, aber gleichgültig werden, das konnte ich auch nicht.

Unterdessen meldeten sich die Blessuren von vor einer Woche: meine mehrmaligen Stürze auf Glatteis, hatten mein Bein ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Mein Knie zickte bei jedem steileren Downhill – das ständige Wegrutschen zollte seinen Tribut. Musik ins Ohr, ein Lächeln ins Gesicht und das Zwischenziel der Adamishütte vor Augen: ich konnte mich eigentlich überhaupt nicht beschweren! Denn so gut lief es noch nie für mich, das Verlaufen mal beiseite gelassen und auch das Knie erholte sich jenseits der Downhills immer wieder.

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Mehr als beschwingt lief ich um die Kurve auf die Hütte zu – so schnell können 46km vergehen 😀 Georg kam mir entgegen, nahm mir meine Softflasks ab, reichte mir die zweite Flasche Maurten und ermahnte mich, nicht zu schnell zu machen. Dennoch seien meine Lauf-Ehefrau Thomas mit der anderen Gruppe nicht so weit von mir weg, ich sollte jetzt einfach vielleicht doch noch ein bisschen Gas geben. Nicht mehr ganz so einfach, denn so im Stehen spürte ich die Beine mehr als deutlich. Aber der Drinkmix sollte es richten, das hatte er bisher immer getan.

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(c) Georg Kunzfeld

Natürlich vergaß ich den nächsten Track zu starten, sodass ich zwar in die richtige Richtung lief, aber schon bald wieder umdrehte, weil mein Navi mir etwas anderes anzeigte. Wieder Zeit verloren, ich hätte schreien können. Unterdessen kamen meine drei Jungs an die VP und ich konnte mich an Lutz anhängen, der mir netterweise den richtigen Track startete. Leicht zerknirscht bemühte ich mich wieder Strecke zu machen. Mehr schweigend als redend, spurte ich hinter Lutz her, der mir das Tempo vorgab. Ein paar Kilometer später musste ich abreißen lassen. Ich hatte ein Tief. Das erste richtige Tief des ganzen Laufs. Tiefs kommen, Tiefs gehen. Ich ging auch und lief nicht mehr. Kreislauf, Beine, ein bisschen Magen. Noch ein Keks. Musik lauter, weiter, egal wie. Einfach gehen, wenn laufen gerade nicht geht. Als ich mich genug selbst bedauert hatte und mir die Erkenntnis gewahr wurde, dass diese Anstiege so schnell nicht mehr enden würden, schloss ich mit mir selbst einen Deal: bei jedem Refrain wurde gerannt. Das zeigte Wirkung. Der Eisenzwerg hatte zwar zugeschlagen, aber klein beigeben würde ich niemals. Ich hatte schlichtweg einfach nur ein Kopfproblem, denn Rennen ging eigentlich super, vor allem nach oben. Diese Erkenntnis ließ mich weitermachen.

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(c) -Frank Jungclaus-

An einer unbemannten Kisten-VP schrie alles in mir nach Cola. Cola ist noch immer ein zweischneidiges Schwert: erst fühle ich mich wie ein Eichhörnchen auf Koks, um dann erneut abzustürzen. Einmal Cola, immer Cola. In diesem Fall ging das natürlich nicht..

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Wettenser-Schlei

Zumindest ging es solange gut, bis mich der Wald auf die Wettenser-Schlei ausspuckte. Mir wohlbekannt vom KiLL50, jedoch nur im Schein der Stirnlampe gesehen. Relativ steil, die losen Steine glitschig, im Boden noch immer metertiefe Risse der Naturkatastrophe. Meine Uhr zeigte Kilometer 50. Ich selbst hatte das Gefühl, einfach nicht mehr vom Fleck zu kommen. Es war furchtbar zäh. So zäh, dass ich das einzige Mal mein Handy auspackte, um mich ein bisschen abzulenken. Wenn man schon nicht mehr kann, dann kann man wenigstens ein Bild der Gesamtsituation machen und etwas für die Instagram Stories jammern. Ich widerstand dem Drang, mich auf den umgestürzten Baumstamm zu setzen. Stoppen erst nach dem Anstieg erlaubt. Oben angekommen, setzte ich mich tatsächlich einfach mitten auf den Weg, auf den feuchten Waldboden. Zudem hatte ich einen Krampf im Hintern. Hatte ich bis dato noch nie, aber so bleibt es wenigstens interessant. Das hatte jedoch zur Folge, dass ich alle paar Kilometer versuchte, mir den Gluteus wieder aufzudehnen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Ich wollte einfach nur rumheulen, das war definitiv der Tiefpunkt und ich freute mich auf den Moment, an welchem ich diesen durchschritten haben würde. Leider dauerte das noch ein paar Kilometer an. Ich machte weiter mit laufen – gehen – dehnen – laufen. Als ich merkte, dass ich damit erfolgreicher war, als ich annahm, kam wieder Leben in mich. Ab Kilometer 60 schlug mir ein Hoch ins Gesicht und verlieh mir scheinbar Flügel.

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Die Jungs und ich zu 7. zeitgleich in den „7 Bergen“

Kilometer 63: der nächste Tiefpunkt. Mein Navi meldete mir „Batterien schwach“. Also noch etwa eine Stunde, ehe es sich verabschieden würde. Strecke machen, jetzt erst recht! Waldautobahnen, erleichterten mir das Unterfangen ziemlich. „Nur noch 17km, das ist doch gar nichts mehr“ – diese und ähnliche Gedanken trieben mich vorwärts.

Ich zwängte mir noch immer Kekse und Haferriegel in die Backen, auch wenn es immer anstrengender wurde, zu kauen. Das Ergebnis meiner Mühen war nämlich, dass mir nicht einmal annähernd so kotzübel wurde, wie es sonst immer der Fall war. Und dann war es soweit: das Navi stellte seinen Dienst ein. Ich atmete tief durch und versuchte so wachsam wie möglich zu sein, was die Markierungen betraf.

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Rauf zur Adamishütte (c) -Frank Jungclaus-

Es ging nur noch hoch und das würde auch so bleiben, bis ich die Adamishütte das zweite Mal anlief. Ich rannte immer noch bei jedem Refrain, oft auch länger. Es fühlte sich richtig gut an, auch noch gegen 70 Kilometer den Anstiegen so tief in die Augen blicken zu können. Ich glaube die letzten Anstiege durch die Felder rauf zur Hütte, sollten uns sicher brechen. Zu dieser Zeit war ich aber leider von irgendwelchen Endorphinen umnebelt und von der Sonne geblendet, die sich zeitweise tatsächlich blicken ließ. Alle Zweifel die ich im Training hatte waren wie weggeblasen. Ich blickte einfach nur geradeaus und ließ die Beine laufen, ganz egal ob es steil oder weniger steil war. Und zack war ich an der Adamishütte. Und wen sah ich da mit einer Bratwurst in der Hand sitzen? Lutz!

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich ihn nochmal einholen würde, er jedoch schon. Das traf sich mehr als gut, denn ich hatte ja keine Navigation mehr. Eine Gemüsebrühe später liefen wir gemeinsam weiter. Nur noch etwa 7 Kilometer bis ins Ziel!

Nach Kilometer 74 passierte es leider schon wieder: wir waren lost. Liefen vom Track weg, befanden uns auf einer steilen, sumpfigen Wiese am Waldrand und hatten keinen Schimmer wie wir auf den Track kommen sollten. Verschenkten mit Sicherheit wieder 15 Minuten, fragten Gassigeher, liefen rauf und runter. Ich war am Ende. Diese schlickige Wiese zog mir den letzten Saft. Ich kaute nur noch auf dem Riegel herum, ging mehrmals beim Beratschlagen in die Hocke und konnte nicht fassen, dass wir schon wieder so massiv aufgeschmissen waren. Wir waren so blind, dass wir den Trail mit den Brombeerranken einfach nicht sahen. Gut, es sah auch nicht wirklich so aus, als könne man da hinauflaufen. Eine steile Rampe, gespickt mit Dornen, die sich ständig in meine Beine bohrten und mir irgendwie auch die Hände zerkratzten. Alles Teil des Spiels. Michael freut sich…

Es kam der im Briefing angekündigte Weidezaun (bitte links herum umlaufen – check!) und darauf folgten noch einige richtig fiese Höhenmeter. Ständig glaubte man, man sei fast da, kam ins Feld, sah die Dörfer und bog doch wieder in den Wald und Sumpf ab. Wir kämpften uns nach oben, versuchten uns zu unterhalten. Ich war leicht neidisch auf die Stöcke, während ich bei jedem Schritt nach links und rechts wegrutschte. Wir liefen durch ein Dorf, hatten nur so eine Ahnung wo wir waren.

 

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(c) Bert Kirchner
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(c) Bert Kirchner

Es schlug Kilometer 78 und wir verschwanden schon wieder im Wald, auf zur nächsten Rampe. Mein Kopf machte das nicht mehr mit. Es war nochmal wirklich eine Qual, die Beine brannten und das Vorwärtskommen glich einem Alptraum. Dazu immer wieder die Sache mit der Orientierung. Ja, selbst als die Uhr schon über 80km anzeigte, mussten wir immer wieder stoppen, um ja den richtigen Weg einzuschlagen. Dennoch hinderte uns das nicht daran, am Berg nochmal einen Sprint anzuzetteln (übrigens mal wieder in die falsche Richtung) bis wir zu guter Letzt endlich in Alfeld ausgespuckt wurden.

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11:03h: Ich habe fertig!

Da wir diesmal von der anderen Seite auf das Hotel zuliefen, fanden wir den Eingang nicht und mussten wieder fragen. Es war zum Verrücktwerden! Straße rauf und runter, bis wir einen schmalen Zugang mit Treppen entdeckten, der direkt zur Tür des Hotels führte. Zumindest konnte ich noch grinsen, als wir die Tür öffneten, um uns herum das Geklatsche losging und ich mich auf den nächstbesten Stuhl sinken ließ. Das Ding war zu Ende und ich riss mir die Schuhe von den Füßen. Katrin hatte über eine Stunde auf mich rausgelaufen, aber über den Platz als 2. Frau und 3 Extra-Kilometern, will ich mich mal trotzdem nicht beschweren 🙂  Wer duschen wollte, musste zwei Stockwerke nach oben steigen. Das Wasser sei kalt, mal wieder ein technisches Problem. Alles klar, bin ich ja schon gewohnt…

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Höhenprofil

Als hätte mich der Ultra-Gott doch noch erhört, war das Wasser glücklicherweise wieder warm, als ich oben ankam. Eine halbe Stunde später kamen auch Jürgen und Christoph mit Moya ins Ziel (letztere wollte noch immer spielen) und auch Silvan kam von seiner 50km Runde zurück.

Georg erbarmte sich und fuhr uns wieder Richtung Heimat, während ich mich auf der Rückbank lang machte, mit den Gedanken schon beim Essen und im Bett 😀

Fakt dieses Laufs: Mal wieder ein Ultra, der mir gefühlt wieder ein Stückchen leichter gefallen ist und ganz wichtig: Georg kann nicht nur laufen, sondern hat auch tief in sich drin Supporter-Qualitäten 😀

— Jamie

4 Gedanken zu “Schneewittchen-Ultra: Die Rache des Eisenzwergs

  1. Liebe Jamie,
    und wieder so ein Brett 🤪 Gratulation zum erfolgreichen Finish! Ich finde es faszinierend wie Du mit den ganzen Verlaufern umgehst, ich wäre wahrscheinlich irgendwann mutlos. Aber das macht den Reiz eines solchen Abenteuers aus, oder?
    Bin schon aufs nächste Ultra-Abenteuer gespannt, dann hoffentlich mit eigenem Navi und ausreichendem Empfang 😉

    Salut

    1. Lieber Christian,
      ja – ich kann es halt einfach nicht lassen! Lieben Dank 🙂 Ich fand es auch interessant, wie ich das mit dem Verlaufen hinbekommen habe…teilweise war ich wirklich mutlos und habe mich schlichtweg geärgert, in erster Linie aber über mich selbst. Irgendwann sieht man halt auch einfach die Markierungen vor lauter Markierungen nicht mehr..Förster o.a. markieren ja auch Bäume mit Pfeilen, nur halt nicht zusätzlich mit gelben Rauten. Da kann man über die Zeit schon mal durcheinander kommen.
      Das mit dem Track auf der Uhr, war einfach Pech. Was sonst immer zuverlässig funktioniert hatte, sollte diesmal wohl einfach nicht sein.
      Der nächste Ultra kommt bestimmt (bald.. 😉 )

      LG,
      Jamie

  2. Nach dem Bericht bin ich weiterhin überzeugt davon nur bei Läufen anzutreten die markiert sind 😉 Mich würde dieses Verlaufen psychisch zerstören und ich hätte wohl aufgegeben…
    Aber du hast spitze durchgehalten und gefinisht! Glückwunsch!

    1. Der Lauf war ja markiert, nur nicht immer so eindeutig und im Dorf meiner Meinung nach gar nicht mehr. Mit Track auf der Uhr, wäre das wahrscheinlich weniger so ein großes Problem gewesen. Man trifft ja glücklicherweise auch immer wieder andere Läufer oder kann in einer Gruppe laufen und sich dadurch gemeinsam abstimmen, was die Richtung betrifft. Dadurch hat man dann auch weniger Zeit, über eventuelle Mimimis nachzudenken 😀

      Ganz lieben Dank!

      LG,
      Jamie

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