KiLL50 – die Heilung auf dem Trail

Dieses 2019. Das war schon ganz speziell. Und es brachte mich auch sehr speziell in den mentalen Ruin. Zumindest was die Ultradistanzen betraf. Wie schwer das gewogen hatte und was das mit meiner Psyche angestellt hatte, dessen war ich mir lange nicht bewusst. Zu groß die ständige Verwunderung darüber, ständig beißen zu müssen, die Qual als sehr viel lauter zu empfinden, als es wünschenswert gewesen wäre. Als ich kurz davor war auf 50km Trail zu DNFen, war mir klar, dass das mit den 100 Meilen vielleicht noch zu früh für mich war, auch wenn ich an diesem Ziel mit 140km beim JUNUT knapp vorbeigeschrammt war. Also habe ich im Spätsommer einiges abgesagt, das „Training“ runtergefahren, da ich nur eins wollte: wieder beschwingt und leicht laufen können. Dass Ultras langsamer machen und man irgendwann einen richtigen Schlappschritt entwickelt, wenn man nicht irgendwann die Bremse zieht, brauche ich hier wahrscheinlich keinem sagen.

Ich sage es jetzt einfach mal auch hier – der KiLL50 ist und war für mich ein kleiner Abschied auf Zeit aus der Ultraszene gewesen. Solange ich noch Tempo mitnehmen kann mit meinen zarten 17.. äh 29 Jahren, werde ich das versuchen und mich erstmal auf für mich wirklich kurze Distanzen konzentrieren, was da heißt alles zwischen 10 und 25km. Wie lange das sein wird, kann ich noch nicht sagen. Ich hoffe auf so lange wie möglich! Also bringt mich nicht in Versuchung, denn ich bin einfach ein leichtes Opfer was Ultras mit Abenteuer-Charakter und Leid betrifft 😀

Das war jetzt ziemlich viel Prolog, aber der musste sein, denn was ich nicht öffentlich sage, mache ich sonst vielleicht doch wieder anders – ihr versteht das 😉

Klaustrophobie im MINI

Fangen wir einfach mit der Situation an, welche mein Gedächtnis wahrscheinlich nie wieder verlassen wird: die Fahrgemeinschaft bis Hildesheim (Richtung Hannover). Ich weiß, dass ein MINI am besten von einer Person gefahren wird, die maximal eine Einkaufstüte dabei hat. Die glorreiche Idee mich mit Michael und Georg in dieses Gefährt zu quetschen, löste in mir zunächst einen Anfall von Klaustrophobie aus, denn ich saß hinten und konnte nicht mal meine Füße hinter den Vordersitz stellen. Die Decke war gefühlt nur 2 Zentimeter über mir, neben mir türmten sich Taschen und weiteres Gelumpe. Ich atmete zwei Mal tief ein und versuchte ohne Panik in der Stimme zu sagen, dass Georg die Tür wieder aufmachen muss. Also tauschten wir, mit dem Ergebnis, dass ich fast mit der Nase die Windschutzscheibe berührte. Aber das Wissen, auch bei 180km/h einfach die Tür aufreißen zu „können“, wenn mir danach war, ließ mich diese Enge schlucken.

Diesmal ohne Kaminscheite im Gepäck, dafür jedoch mit hessischem Apfel-Glühwein (zur Gnändigstimmung des Racedirektors) trafen wir in der Kulturherberge ein. Es hatte sich gefühlt nichts verändert. Wir luden unsere Sachen ab und bekamen netterweise noch zwei Betten in einem Mehrbettzimmer der Herberge gestellt. Es ist für mich immer ein leicht zwiespältiges Gefühl im Zimmer Schlafsack, frische Klamotten und Duschsachen zu platzieren, mit dem Wissen dass man an diese Annehmlichkeiten erst 8 bis 10 Stunden später kommt, ausgezehrt und mit Kraft und Lust zu nichts.

Die wohl beste Prävention die ich an diesem Nachmittag tätigte, war es, meine Füße mit dem deutschen Pendant zu „Trailtoes“ einzuschmieren. Ich nehme es vorweg, ich hatte NULL Blasen. (Ok, eine unter dem Zehennagel, aber die zählt nicht). Zehensocken perfektionieren das ganze und lassen den Fuß ganz anders auf dem Trail balancieren.

Tja und dann kommen die Schuhe. Ich kenne mich, ich wechsle nie Schuhe. Nachdem ich aus meiner gesponsorten Dynafit-Zeit noch fast nagelneue Berglaufschuhe über hatte und diesen Herbst bemerkte, wie überaus minimal und griffig diese auf matschigen und steinigen Trails waren, verschmähte ich meine inov8 x talon fast schon wieder. Der Nachteil war definitiv: Carbon in der Sohle, keine Dämpfung und Sprengung ebenfalls kaum vorhanden. Ein Schuh der nicht auf Ultras ausgelegt ist. Aber ok, ich mag es gerne hart (herzlich) und direkt.

Eine Stunde vor dem Start inhalierte ich noch reichlich Nudeln mit Tomatensoße, stopfte noch einen Lebkuchen hinterher und hoffte damit erstmal eine gute Basis gelegt zu haben.

Das Wetter war mild, es regnete zwar immer mal wieder, aber wir sind ja nicht aus Zucker. Trotzdem fror ich unter der Anspannung, obwohl ich lang-lang startete (klingt irgendwie nach chinesischem Essen) und war kurz davor mir einfach eine dünne Jacke drüber zu ziehen. Gott sei Dank tat ich es doch nicht. 5 Minuten vor dem Start hüpfte ich von einem Bein auf das andere. Die Stimmung wie immer elektrisierend. Ich bereit meine Uhr zu starten.

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Dann kam es plötzlich von Michael Neumann auch an meine Ohren geschallt: „Also auf meiner Uhr ist es schon 17…“ In diesem Moment rauschte Georg an mir vorbei, während ich noch überlegte, ob er nicht doch 17 Sekunden meinte. Hatte er nicht. Also nahm ich meine Beine in die Hand, um Georg und das Führungsgrüppchen nicht zu verlieren. Wie immer: ein echtes Trailpärchen rennt im 4:30er Schnitt händchenhaltend bis jeder genervt ist 😀 Spätestens beim ersten richtigen Trail war sich dann wieder jeder selbst der nächste. Das Gras war nass, dazwischen gab es tieferen und weniger tiefen Schlamm, kleine glitschige Hölzchen, Äste von oben, und dickere Äste die übersprungen werden wollten. Ich blieb dran und war leicht verwundert über diese Leichtigkeit die da von mir ausging, die ich wirklich lange vermisst hatte – aber man soll in unserem Fall ja den Abend nicht vor dem Tage loben.

Im vorletzten Jahr lief ich in der dritten Gruppe mit, diesmal setzte ich ein bisschen mehr und hoffte, dass aufging was ich mir erhoffte – was ganz klar eine Zeit von unter 10 Stunden war, eine 9:30 zum Beispiel. Auch als das Adrenalin vom Start wieder verblich, wurde es für mich nur minimal anstrengender. Wir hatten das Feld erreicht und liefen in einer netten 5er Gruppe ein zügiges Tempo rauf und runter. Nach uns kamen noch 2 bis 3 Läufer und dann lange nichts.

Unsere Unterhaltungen waren grandios amüsant – unter anderem wollte Georg fast schon wieder ein paar Britney Songs zum Besten geben. Wir plauderten noch etwas über unsere Jobs, Kinder und Kinder bekommen, bis wir plötzlich wieder im Wald waren und ich meine Stirnlampe anschaltete, was ein riesen Glück war, da ich fast auf einen Salamander getreten wäre und nur 200m später tauchte schon der nächste auf!

Zu diesem Zeitpunkt liefen wir schon fast eine Stunde zusammen. Auf den Downhills wurde ich immer etwas langsamer und holte dann wieder ein. Das ging noch ein wenig so weiter, bis ich bei Kilometer 12 im dichten Wald entschied, etwas Tempo rauszunehmen, da ich mehrfach fast über tiefe Harvesterspuren und Gestrüpp gefallen wäre. Die Pfade waren ziemlich eng und mit meinen maximal 200 Lumen sah ich Hindernisse irgendwie zeitversetzt. Manchmal hatte ich auch plötzlich einfach einen dünnen Ast im Gesicht, weil ich ihn nicht gesehen habe.

Dann war ich dran mit der Navigation, aber recht bald bemerkte ich einen anderen Läufer hinter mir, der mich zum Glück einmal zurückpfiff, als ich falsch einbog. Ich erinnerte mich daran, dass wir uns vor zwei Jahren in diesem Gebiet schon einmal verfranzt hatten und dachte mir, dass vier Augen in diesem Fall mehr sehen und ein GPS mit richtiger Karte eventuell genauer war, als meine Wurmnavigation. Was ich auch bemerkte war, dass unsere Geschwindigkeiten nicht ganz so gut harmonierten. Für mich war klar, dass ich volles Risiko ging und jeden Berg im grenzwertigen Wohlfühltempo hochrennen würde, als es plötzlich hinter mir schnaufte: „Das ist aber ganz schon gewagt!“ „Ja schon, aber wer nicht wagt…“

Dennoch versicherte ich mich immer mal wieder nach hinten. Sicherlich verlor ich hier auch einige Minuten. Plötzlich kam niemand mehr hinter mir her, obwohl ich zuvor noch sagte, dass wenn etwas sei, er einfach rufen sollte. Es kam kein Ruf, es herrschte absolute Stille im Wald, bis auf den Wind der durch die Bäume rauschte. Ich stand ganz still, blickte mich um, wartete und lief dann wieder weiter. Registrierte das leicht unwohle Gefühl im Bauch, sich so abgeschieden zu fühlen, als plötzlich eine dieser kriegsähnlichen Sirenen ertönte. Ich weiß, dass wenn sie nur ganz langsam laufen, es nur Tests sind. Diese gab aber normale Töne von sich. Kurz erstarrte ich, denn in dieser Welt muss man ja mittlerweile mit allem rechnen. Als hätte die nukleare Raketenwarnung damals in Hawaii nicht schon für mich gereicht, nein – jetzt auch noch Katastrophenstimmung auf dem Trail.

Ich stolperte wieder aus dem Wald heraus und zeitgleich verstummte die Sirene wieder. Leicht orientierungslos suchte ich die Stelle an der wir die Straße überqueren sollten. Mittlerweile war mein Mitläufer wieder auf mich aufgelaufen, teilte mir mit, er sei im Downhill schlimm gestürzt, da er die Steine immer übersieht, aber er könne weiterlaufen. Wir sind knapp vor km20 als wir den Mini-VP in einer Seitenstraße erreichen. Auf dem Klapptisch stehen Cola und Wasser, eine Brezel liegt herum und Dominosteine. Mein Magen will die Brezel und ich bekomme ein Stück davon, denn eigentlich gehört sie dem Helfer 😀
Nun wurde auch klar, was das mit der Sirene auf sich hatte: eine Frau wurde im Wald gesucht. In der Ferne hörten wir bereits die Einsatzwagen. Es stellte sich heraus, dass sie irgendwo auf unserer Strecke im Graben gelegen haben muss, nur habe ich da leider nichts bemerkt.

Wir rannten die Straße hinauf, bis meine Uhr meldete, wir seien falsch. Es dauerte wieder gefühlt viel zu lange, bis wir den richtigen Einstieg in den Wald fanden. Ich spürte aber auch, dass mir leicht flau im Magen war. Das durfte sich auf keinen Fall bis zur Kotzerei steigern! Das rote Pulver in meiner linken Softflask rettete mich sehr. Ich bis auch immer mal wieder etwas vom Backmarzipan ab und stellte fest, dass es sich super leicht kauen ließ und auch gar nicht unangenehm schmeckte. Ich versuchte wieder leicht Druck zu machen, indem ich bei km25 mein eines Ohr mit Musik beschallte. Ich musste aus diesem kleinen Loch sofort raus und noch nie ist mir das so galant gelungen wie in dieser Nacht. Wir holten sogar Max Bisanz wieder ein, der es scheinbar auch eilig hatte. Das nächste Ziel war km33 – Flaschen auffüllen. Mein Mantra war einfach: immer im Takt bleiben, zügig aber locker laufen, immer weiter und weiter. Ich wischte alle Gedanken zur Seite, eventuell müde zu werden und noch mehr als 50km vor mir zu haben. Im Moment leben ist manchmal sehr schwer und manchmal aber auch ganz leicht. Aber auch folgender Song war irgendwie ganz passend:

Hör auf die Stimme
auf deinen Wegen, durch das Leben
da kommen Kreuzungen, und du stehst
du musst abwägen und überlegen, was du wählst und wofür du gehst
die bösen Geister, und all die Quäler
immer wieder, kommen sie zurück
es wird nicht leichter, nein es wird schwerer
du musst ihn meistern, den nächsten Schritt
da wo guter Rat teuer, du grad lost und gebeutelt bist
war da nicht immer diese Stimme, die dir hilft und zwar immer

Stimme – Mark Foster & EFF

Bis zur VP war die Strecke in etwa so: super windiges Feld, Wald und Trail, super windiges Feld, Wald und Trail, extrem windiges Feld, VP.

Mit einem ernst gemeinten Grinsen im Gesicht ließ ich meine Flaschen von den doch sehr serviceorientierten Helfern auffüllen, schlug die warme Brühe aus, verweigerte das vegetarische Schmalzbrot und machte mich an meinem Dropbag zu schaffen: mein letztes Tailwind kam in die Flasche und in meine Hand ein großer Laugenzopf. Ich lief aus der Station mit der Erkenntnis heraus, dass es mir sehr viel besser ging als das letzte Mal.

10h dieser Anblick 😀

Ich rannte sofort weiter und plötzlich waren wir wieder mit Max verbandelt und liefen mehr oder weniger zusammen wieder in den Wald hinein. Es ging immer mal wieder kurz herunter und dann aber für längere Zeit wieder nach oben. Und das war mein Stichwort: ich lief alles und konnte mich gleichzeitig gut nach hinten versichern, dass ich noch richtig lief, bis ich so viel Selbstvertrauen gewonnen hatte, dass ich ganz verlässlich selbst weiter navigierte.

Eine Wahrheit die ich euch nicht vorenthalten möchte: durch das zügige Anfangstempo und das Rennen der Anstiege, waren meine Beine eigentlich schon bei km25 geplatzt. Ein anderes Wort fällt mir dafür nicht ein. Die schönsten Schmerzen sind übrigens die, die zwar da sind, aber erstmal die nächsten Stunden nicht schlimmer werden. Genau so war das mit meinen Beinen. Früh zerstört, aber dann ist da ja noch der Kopf. Und dieser hat mich an diesem Tag nicht im Stich gelassen. Der wollte einfach und war so positiv, brachte mich zum Singen und Lächeln (das arme Wild).

Die Laugenstange gab mir ebenfalls etwas Halt und einen neutralen Magen. Mein persönliches Zwischenziel war die Wettenser Schlei. Ein sehr steiles, langes Stück, was kaum einer bis ganz nach oben rennt. Der Mythos sagt ja, sie würde bei km42 auftauchten, aber irgendwie tut sie das nie. Als es dann vom Uphill wieder in einen schottrigen Downhill überging, war mir jede Grasnarbe lieb und teuer. Ich versuchte flüssig zu laufen, aber ich bemerkte schon einige besorgniserregende Anzeichen von einem stichelnden, genervten und instabilen Knie. Ich ließ Max ziehen, atmete durch, konzentrierte mich auf die Musik in meinen Ohren.

Es schlug km39 als ich wieder alleine war. Und ja, es wurde hart und härter. Dass ich in größtenteils laufender Bewegung blieb, war alles was ich tun konnte. In meinem Kopf gab es nur noch die Wettenser Schlei.

Und tadaa, nach 44km tauchte sie plötzlich vor mir auf. Das beinhaltete noch zwei diagonal liegende Baumstämme zu überklettern. Auf dem zweiten blieb ich kurz sitzen, ganz kurz. Der Vorteil war, dass ich wusste, dass es jedem, nicht nur mir, an dieser Stelle meist schon bescheiden ging und es besser würde, wenn man erstmal oben war. Allein der Weg dorthin ist zäh und irgendwie unschön.

Ich erlegte es mir selbst auf, durchzumarschieren, so zügig wie möglich. Unterdessen fiel mir im Schein meines Lichtkegels auf, dass sich das Zugband meiner Schuhe aus seiner Lasche gemogelt hatte. Ich plante es erst wieder dingfest zu machen, wenn ich oben war und wollte mir sogar eine Pause auf dem Waldboden genehmigen. Als ich jedoch oben ankam und mich kurz umdrehte, sah ich etwas weiter unten einen Lichtkegel blitzen. Dieser nahm mir die Entscheidung ab, meiner Schwäche Ausdruck zu verleihen. Beine in die Hand und weiter ging es.

Immerhin nur noch 8km bis zur letzten VP! So schnell wie mir das möglich war und immer Clif Gums und Laugenstange nachschiebend kämpfte ich mich durch. Die Navigation klappte nahezu perfekt, trotzdem zog es sich etwas und mein Energiehaushalt war nun auf Messers Schneide angelangt.

DNF bedeuter mehr Dogtags für KillBill

Die Lichter der Station in der Herberge gaben mir nochmal Auftrieb. Als ich den warmen Raum betrat sah ich eigentlich nur Läufer in Sesseln und Stühlen hängen. Was war hier los? Dann erblickte ich Amadeus aus der Führungsgruppe:
„Was, bist du etwa schon durch!?“
Michael: „Kannst du bitte nochmal reinkommen, ich will bitte nochmal dieses Gesicht sehen!“
Amadeus hatte wohl leicht überzockt und Probleme mit der Achillessehne und stieg deshalb aus. Auch einige andere von denen ich das nicht gedacht hätte, wollten nicht mehr weiter laufen.

Leicht irritiert versuchte ich mich an den Plan zu erinnern, den ich hier kurz abarbeiten wollte. Während ich Cola herunterkippte, mir die Flaschen aufgefüllt wurden und ich immer noch genug Laugenstange in der Hand hielt, brauchte ich mir nur noch einen Mitläufer zu suchen, damit wir uns auf den letzten 30km Mut zusprechen konnten.

Auch Max war dort und füllte auf, zog sich um. Ich fing an zu schwitzen und wollte weiter. Da tauchte plötzlich doch noch jemand neben mir auf, den ich mir zur Lauf-Ehefrau aus-erkor, ich hatte es so im Gefühl, dass ich einen zweiten Thomas Simon gefunden hatte 😀

Zudem war ich mir um meine Position als erste Frau mehr als nur bewusst, hatte aber auch keine Ahnung wie viel Abstand ich mir herausgelaufen hatte. Ich war schon fast aus der Tür, als mir auffiel, dass ich meine Akkus der Leuchte nicht präventiv getauscht hatte. Wieder verstrich kostbare Zeit.

Aber dann. Wir waren wieder auf dem Track. Es ist immer extrem erfrischend, wenn man plötzlich jemand Neues um sich hat. Die nächsten 12km flutschten nur so – alle Trails verschmolzen vor meinen Augen zu einem Tunnel, sodass ich mich nur noch an viel Gestrüpp und matschige Singletrails erinnern kann.

„Wie heißt du eigentlich?“
„Hecke!“
„Wie bitte?“
„Hecke, wie die Gartengrenze!“
„Achsoo?!“

Dann brauchte es nochmal mindestens 15min Trail, ehe ich kapiert hatte, dass er mir nicht bloß seinen Nachnamen genannt hatte. Finde ich aber irgendwie cool!

Gesehen in der Herberge

Als nächstes durfte er mir erklären, weshalb er mit drei GPS Uhren an den Handgelenken herum lief. Ein Testuser also. Da machte es auch nichts, dass eine von den Uhren plötzlich das Höhenprofil nicht mehr ganz anzeigte. Aber er hatte ja auch noch mich und mein GPS Wunderwerk. So kam es, dass wir uns lange über Uhren unterhielten. Im Grunde war es fast egal, ich brauchte die Konversation, um den Schmerz meiner Beine unter den Trailteppich zu kehren und die aufkommenden negativen Gedanken zu zügeln.

Es wurde schleichend härter. Wir sprachen auch über unser Tempo. Hecke hatte angegeben, er sei gar nicht so schnell und wäre zuvor lange mit Georg vorne mitgelaufen, was Georg wiederum in Panik versetzte, weil er zuvor Hecke’s DUV Eintragungen studiert hatte. Ich möchte gar nicht immer wissen mit wem ich da so laufe, das macht die Sache dann doch erst interessant 😉

Lauf-Ehepaar auf Mission: Hecke prügelte mich die Downhills herzlich herunter und er durfte neben mir alle Anstiege hochschnaufen. Ich glaube wir haben uns im Stillen darauf geeinigt Zeit gutzumachen und uns nicht überholen zu lassen – und das klappte wie am Schnürchen.

Mein linkes Knie wollte zwar nicht mehr so wie ich wollte, aber auch das ist Teil des Spiels. Und wie Hecke es so schön sagte; wir alle haben dafür bezahlt zu leiden. Also zog ich die Mundwinkel wieder hoch, machte dumme Sprüche und achtete darauf in Bewegung zu bleiben.

Auf den tiefsten Singletrails schaltete er seine Leuchte auf grünes Licht, es sei konturenschärfer und netter für die Wildtiere. Ich fing währendessen an immer unkontrollierter über die Pfade zu torkeln und Hindernissen gehend auszuweichen. Einmal liefen wir falsch und mussten Off-Trail wieder zurück auf den Track finden. Netterweise bekam ich eine Salztablette gesponsort, während Hecke den Wald mit dem Duft eines oder mehr Snickers erfüllte. Ich selbst nagte nur noch Fitzelchen von meiner Laugenstange ab, immer gerade so viel, um nicht in die völlige Unterzuckerung zu rutschen, aber auch keine Magenprobleme heraufzubeschwören. Ein bisschen eklig war es schon: Meistens hatte ich in der linken Backe in Gum, welches sich langsam auflöste und in der rechten ein Stück Laugenstange. Wenn ich dann noch an der falschen Softflask zog (die, die noch einen Hauch Tailwind enthielt und dem Wasser einen unklaren Geschmack verlieh), war es beinahe schon kurz vor eklig.

Irgendwann ist es einfach so egal, was oder in welcher Zusammenstellung es ist, was man isst, solange es einen nicht in den Ruin treibt, sondern das Energielevel wenigstens ein bisschen befeuert.

Eine kräftezehrende Wiese, nass, ansteigend, uneben – trennte uns noch von unserem Glück durch Brennesseln und Brombeerranken wieder auf einen normalen Pfad zu kommen. Mein Rucksack hat sich auch nur drei Mal darin verfangen…

Die versteckte VP-Kiste bei km63 war immer der Moment für mich, den Kinder bei einer Schatzsuche haben müssen. Ein enger Trail, eine weiße Kiste nebst Gestrüppt versteckt. Darin Cola, Wasser und manchmal auch Gels. Ich kippte einen Becher Cola herunter, setzte mich kurz in die tiefe Hocke, ehe wir mit blubbernden Bäuchen den Trail herunter tänzelten.

Meine Gebete wurden erhört, die Cola blieb drin und gab mir einen kleinen Boost. Bald würden wir km70 erreichen und dann würde es einstellig. Bevor wir das bejubeln konnten, war die Cola auch schon wieder weg. Es ist bitter, wenn der Insulinspiegel plötzlich nach unten knallt, vor allen Dingen nach fast 9 Stunden in Bewegung. Noch vor 1-2 Jahren hätte ich versucht es einfach zu ignorieren, doch jetzt aß ich einfach weiter Gums, bis es mir wieder einigermaßen ging.

Ein furchtbarer Anstieg, den ich wahrscheinlich wohlwissend verdrängt habe, kam aber noch. Viel Laub, sehr steil, steinig, nass. Definitiv war das ein Wadenbrecher. Ich nannte ihn Arschlochberg und auch Hecke stimmte dem zu.

Aus dem Wald kamen wir ins freie Feld. Mein Herz hüpfte, es fehlten nur noch die zwei finalen Anstiege. Wir schwiegen Sekunden, vielleicht auch Minuten. Mein Kopf verselbstständigte sich, war irgendwo anders, aber sicher nicht mehr bei der Sache und todsicher auch nicht mehr Multitaskingfähig.

Ich fand mich stolpernd wieder, meine Gehirnaktivität auf ein Minimum reduziert. Anstatt mich wie ein nasser Sack einfach fallen zu lassen, versuchte ich mich zu fangen, stolperte erneut, bekam einen Rechtsdrall, stolperte auf die Mitte des Weges, verbog mir sämtliche Zehen und knallte mit der Hüfte zuerst einfach auf den leicht ansteigenden Feldweg, in der linken Hand noch immer die Packung Gums und die Laugenstange von km33. Steinchen bohrten sich in meinen Handteller. Ich rollte mich wieder auf die andere Seite, ließ den Schmerz einschießen, stand auf.

Nach dem obligatorischen „Geht’s dir gut!?“ Kam ein: „Was hast du da in der Hand, einen Pilz??“

Nein, es war noch immer das alte Laugengebäck. Leicht feucht von der Witterung und unversehrt, ob des Sturzes. Also wieder was zu lachen. Und es war nicht mehr weit und wir würden den final finalen Anstieg erreichen – mit ihm den Ort namens Sack.

Nie hat dieser Ortsname besser auf meine Situation gepasst. In erneuten Wallungen von Hüftschmerzen, versuchte ich noch ein Bild vom Ortsschild zu machen – nur leider kann man da absolut nichts drauf erkennen. Wir ließen uns wieder von Max überholen.

Ich selbst wollte keine „längere Pause“, wie sie mir angeboten wurde. Ich wollte das Ding beenden. Die Chancen auf 9:30h waren schon länger gestorben und auch 9:45h erschienen mir kritisch. Ein wenig Dampflock-artig schob ich mich mit Hecke über die Felder, bis zum letzten Anstieg, der gleich 4km lang war – eben bis ins Ziel. Damit man auch kapiert, dass es sicher noch weh tut.

Zeitgleich kam plötzlich Max auf uns zugelaufen, der aus einem Weg kam, der definitiv nicht zum Track gehört. Jetzt waren wir alle doch wieder vereint. Wenn ich eins ganz gut kann, dann ist es glücklicherweise bergauf-Laufen. Während ich mein Tempo hielt, Max einholte und plötzlich doch überholte, versuchte ich sie beide noch verbal zu motivieren, dass jetzt doch bitte laufend zu beenden und mit mir mitzukommen.

Alles was ich von Hecke hörte, war nur so etwas wie „Lauf du nur“ und das tat ich auch. Ich hatte aber dabei nicht mal mehr die Muse mir Musik ins Ohr zu stöpseln – es wäre nur ein Handgriff gewesen – einer der in dem Moment zuviel für mich war. Mit ulkigen Songschnipseln im Kopf, kämpfte ich mich Meter für Meter weiter nach oben. Gefühlt wurde es immer steiler. Gehen wäre jetzt schön, aber auch das tat ja schon länger weh. Ich hegte die Hoffnung auf 9:59h und machte einfach weiter. Die Beine so roh als würden die Nervenenden bereits blank liegen und an der Laufhose reiben.

Wie lang 3-4 Kilometer sein können, will ich hier gar nicht weiter beschreiben. Da hat glaube ich jeder seine ganz persönliche Horrostory. Sie zu gehen hätte mich psychisch jedoch umgebracht. Also lief ich, weil ich es konnte, ich hatte Schmerzen und es war ok. Ich hatte ein Low und High zur selben Zeit – so paradox es auch klingen mag, aber ich hatte wieder eine Mission. Alles war gut so wie es war und es war kein mentaler Crash oder Raubbau. Ich war kurz vor dem Ziel und alles würde gut werden. Ich würde es in vollster Zufriedenheit zu Ende bringen, in angenehmer Härte.

Dumm wie meine Laugenstange, bog ich natürlich noch 700m vor dem Ziel in den falschen Abzweig ein, was mich bestimmt wieder 1-2 Minuten kostete. Dann sah ich auch wieder Max und Hecke irgendwo hinter mir leuchten.

Im Slalom um Schlammlöcher, über rutschiges Laub, am Parkplatz vorbei und geradewegs auf die Herberge zu. Ich war sogar geistig noch so fit, dass ich zumindest meine Leuchte ausschaltete, als ich die Stufen hinaufstieg und glücklich lächelnd mit meinem Stück Laugenstange in 10:05h meine Dogtag abgab.

Georg (8:30h) saß sehr entspannt mit Matthias Schramm (8:01h) auf dem Sofa, während ich meine Schuhe auszog, erstmal nichts anderes wollte als mich hinzusetzen und die krampfartigen Wellen meiner Fußsohle zu managen.

Und dann liebe Freunde kommt meine Hassliebe: man will duschen, aber eigentlich ist alles zu anstrengend. Nicht mal 20 Minuten und man ist ausgekühlt. Mein Kreislauf war irgendwie nicht so recht anwesend, also schwankte ich runter in unser Zimmer, und dann in die Duschen. Ein zweiter Ultra wenn ihr mich fragt, eine Prozedur die sich zieht, bis man endlich in warmen, weichen Klamotten steckt, wieder wie ein Mensch riecht und sich ansatzweise auch so fühlt.

Katakomben der Herberge

Wenn das geschafft ist, dann fährt der Körper so richtig runter: nichts geht mehr. Die vergangenen 10 Stunden zeigten sich deutlich im Gangbild.. 😀

Bleibt nur zu sagen: es war ein super genialer Ultra-Abschluss für mich, mit einem ersten Platz und 4. in der Gesamtwertung. Dank an alle Verantwortlichen, Helfer und Läufer – es war wirklich ein Fest 🙂

— Jamie

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