Zillertaler Steinbocklauf mit Hund 22.08.2020

„Kontrolle ist ein einbeiniges Einhorn welches ans Ende eines doppelten Regenbogens pinkelt“

So oder so ähnlich kann man das beschreiben was mir durch den Kopf ging als ich mit etwas beschleunigtem Herzschlag dem Wochenende im Zillertal zusagte. Meine Bemühungen auf alles rund um den 30km langen Steinbocklauf vorbereitet zu sein und nichts dem Zufall zu überlassen, wurden nur teilweise zu meiner persönlichen Zufriedenheit erfüllt.

Dennoch spürte ich deutlich, dass Kopf und Körper ein neues Abenteuer herbeisehnten, wenngleich ich dabei meine Ängste und Sorgen unterdrücken musste. Eigentlich hatte ich kaum Sorge um meine Wenigkeit – irgendwie kommt man ja selbst immer hoch und wieder runter. Doch wie das mit einer Hündin Mori funktionieren sollte, war mir nach der Bildersuche im Netz nicht mehr so ganz klar.

Zwischen dem „Soll ich“ oder „Soll ich nicht“ in meinem Kopf, rief ich kurzerhand einfach den Veranstalter des Steinbocklaufs an und schilderte ihm meine Situation. Ich wollte nicht nur wissen, ob man diesen Lauf mit Hund bestreiten darf, sondern wollte mich auch versichern, ob dieser mit Hund machbar sein würde.

Man klärte mich direkt über ein bis drei Schlüsselstellen auf – bestehend aus einer 6m hohen Leiter im Fels und kurze Klettersteige mit Seilversicherung auf bis zu 3000m Höhe der Mörchnerscharte. Mein Magen verkrampfte sich als ich das hörte. Mir wurde jedoch auch erzählt, dass er selbst mit seinem 26kg Dalmatiner diese Hindernisse gemeistert hatte. Es klang, als hätte er seinen Hund dabei unter den Arm geklemmt. Ich sah da bei mir eher schwarz, auch wenn Mori nur 11kg schwer bzw leicht ist. Sie ist ja keine starre Hantel, sondern ein lebendiges, „wabbeliges“ Lebewesen.

Diese Information beruhigte mich also nicht wirklich, aber ich wusste nun woran ich war. Kurz vor knapp versuchte ich noch möglichst wenigstens ein paar Erfahrungen und Tipps zusammenzutragen und orderte sogar noch einen so genannten „Sport Sack“ für Hunde. Leider kam dieser nicht mehr rechtzeitig. Diesen hätte ich wie einen Wanderrucksack auf meinem Rücken tragen und Mori bspw. an der Leiter in diesen setzen können.

Pflichtausrüstung

Mein Plan B bestand darin mich mit Oli zu beratschlagen und zu vereinbaren zusammen zu laufen. Des Weiteren besuchte ich eine Tierhandlung um die Ecke, um für Mori ein gut sitzendes Geschirr zu kaufen.

Leider traf ich mal wieder auf eine besonders motivierte Mitarbeiterin (nicht), die überhaupt nicht verstand oder verstehen wollte, was meine Ansprüche an das Geschirr betraf. Kurz: Sie stellte sich quer und riet mit von richtigen Outdoor-Geschirren ab. Ich wollte ihre Kompetenz ja nicht anzweifeln, aber ein dünnes Nylon-Geschirr gab mir einfach nicht das Gefühl von Sicherheit das ich gerne gehabt hätte. Zumal es Mori (wie sooft) unter der Achsel rieb und sich für mein Empfinden nur sehr schwer verstellen ließ. Ich fragte explizit nach einem robusteren Geschirr, am besten mit Griff, um Mori im Zweifel sichern bzw anheben zu können. Daraufhin bekam ich gleich eins auf den Deckel „Hunde hebt man nicht hoch!“ Und diese Outdoorgeschirre seien viel zu warm. Ich versuchte nochmal zu erklären dass es in den Bergen auf dieser Höhe zu dieser Zeit eher kein Problem mit Hitze geben würde, ließ es dann aber bleiben, da ich auf taube Ohren stieß.

Meine Verzweiflung wuchs – glücklicherweise kam ihre Kollegin um die Ecke, die zu ihr meinte:
„Hast du ihr schon die Outdoor-Geschirre gezeigt?“
„Nein…“
„Du willst in die Pause oder?“
„Ja.“ (Und weg war sie.)

Ich nahm also einen erneuten Anlauf und diesmal wurde ich erhört. Ich sah auch endlich mal einen Funken Begeisterung in den Augen, als ich von meinem Vorhaben erzählte. Gleich das erste Geschirr passte Mori wie angegossen. Es besitzt einen Haltegriff, ist robust und scheuert ihr nicht unter den Achseln (Marke Petlando). Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?

Die Hinfahrt gestaltete sich etwas chaotisch. Eigentlich soll man ja meinen es sei ein leichtes sich um 10 Uhr bei Oli in einem Vorort in Frankfurt zu treffen – aber nicht an diesem Tag. Ich war auf die Minute pünktlich und sah auch schon Oli auf dem Bürgersteig. Sein Kollege welcher auch mitfuhr, kam extra aus Düsseldorf und war viel zu früh da. Nun fehlte nur noch Juliane, die sich wenig später bei Oli meldete, es würde etwas länger dauern, sie hätte die Bahn verpasst. Da sie weit nicht sein konnte, fuhren wir mit Sack und Pack Richtung Haltestation, Mori eingekuschelt in ihrem Reisekörbchen zwischen meinen Beinen.

Einige weitere Anrufe zwischen Juliane und Oli ergaben, dass wir wieder zurück zum eigentlichen Treffpunkt fahren mussten. Juliane diskutierte noch ein bisschen, ich lächelte nur hilflos und blendete die halbe Stunde aus die wir dadurch verloren hatten. Durchatmen, weil man geschehene Dinge nicht ändern kann.

Ändern konnte ich aber die Stimmung im Auto. Recht schnell lachten wir uns über ein Loriot Video tot (mit salamo ohne, fett fett, brat bat!) und rezitierten mehr als die halbe Fahrt alle Klassiker. So verlief die Fahrt relativ kurzweilig, mit einer super braven Mori, als wir um ca. 18 Uhr endlich nach Ginzling einbogen und den Hunger unseres (bzw meines) Lebens hatten.

Wir waren nur 300m vom Start entfernt untergebracht – das hieß es würde morgens keinen Stress geben. Wir stopften uns mit einem Drei-Gänge Menü in unserer Unterkunft voll, wanderten kurz zum Start, ich entdeckte einen 1,5km langen Trail hinter dem Haus, den ich nochmal kurz rannte und dann verschwanden wir direkt aufs Zimmer – ich konnte die Dusche kaum mehr erwarten.

Denn als wir los fuhren hatte es relativ schnell die 30 Grad Marke überschritten, sodass wir bei Pausen immer wieder direkt gegrillt wurden. In Ginzling selbst waren es nur noch etwa 16 Grad – mein Lieblingswetter. Nachts schüttete es nochmal recht heftig und um 5 vor 4 Uhr in der früh schälte ich mich aus meiner Bettdecke. Mori wedelte freudig mit dem Schwanz, sie bekam schon mal ihr Futter und ich begann mich startklar zu machen. Juliane hatte unterdessen gar nicht bemerkt wie ich aufgestanden war, sie hielt mich für einen lautlosen Geist.

Um 4:15 Uhr rührte ich mir meine mitgebrachte Porridge Mischung mit Hafermilch an und drückte zur Sicherheit noch ein kleines Nutella-Brötchen hinterher.

Mori wurde in ihr Geschirr gesteckt, ich zog mein Startnummernband an und los ging es. Es war noch richtig dunkel und ich hoffte auf baldige Helligkeit, denn ich hatte mich spontan gegen die Stirnlampe entschieden. Meine Stöcke hatte ich einfach in die Kordeln meines Rucksacks geschoben. Wir reihten uns ein, auf die Corona-bedingten Markierungen im Startbereich. Juliane, Oli und ich belegten eine Reihe. Es war leicht fröstelig und ich war froh um meine Armlinge.

Der Startschuss fiel genau um 5:30h – ich versuchte ihn mit meiner GoPro mitzufilmen, aber es war gar nicht so leicht Mori zwischen all den laufenden Raketen zu bändigen, gleichzeitig selbst mitzuhalten und dann auch noch die Kamera zu halten – doch seht selbst!

Start des Steinbocklaufs (Klick ins Bild)

Als sich das Feld etwas mehr auseinander gezogen hatte und ich zumindest mein Umfeld wieder besser erkennen konnte, entfernte ich Mori´s Leine. Die ersten 3 Kilometer hatten bis über 100 Höhenmeter pro Kilometer, dazu kam dass wir bereits auf etwas über 1000m starteten. Ich als eher im Tal lebende Person, spüre auch das auf die eine oder andere Art recht deutlich. Dazu kam, dass der Körper noch nicht ganz wach war und unter anderem mit leichter Übelkeit reagierte. Auch Oli ging es ähnlich. Doch wenn wir Zeit gut machen konnten, dann war es auf diesen ersten gut laufbaren 6 Kilometern, die wir um den Bereich eines 6 und 7er Schnitts liefen.

Die ersten Kilometer hoch

Trotzdem wollten wir genießen was wir da sahen. Zum Beispiel dieses unglaubliche Bergpanorama und die langsam aufgehende Sonne, die die höchsten Bergspitzen orange leuchten ließ. Zu unserer Rechten toste ein Fluss und es eröffneten sich weitere Berge, die uns schon bald umschlossen. Mori stürmte vorweg, was sehr zu Belustigung und auch Motivation der anderen Läufer und Wanderer taugte.

„Ach schau mal, der Lumpi läuft auch mit!“

Ich grinse und rufe zurück: „Ja natürlich!“ Dabei vergesse ich kurz mein Geschnaufe und das unkomfortable Gefühl in der Magengegend.

Oli fiel leicht zurück – ich versuchte zu motivieren und versuchte selbst immer wieder zu lächeln, denn es war einfach unfassbar schön um uns herum! Dann musste Oli auf mich warten, ich brauchte meine Stöcke, denn die Anstiege verwandelten sich immer mehr in alpines Terrain. Dafür hätte ich wahrscheinlich die Laufweste ausziehen müssen, aber Oli half da gerne. Kurz danach rutschte auch noch meine Regenjacke heraus. Wieder gab es eine kurze Verzögerung.

Alpinisten und vor allem Österreicher lachen mich sicherlich aus, wenn ich zugebe, dass ich beim Laufen auf 1500m Höhe eine leicht begrenzte Sauerstoffaufnahme bemerkte, die einen Nebel in meinem Kopf erzeugte und alles etwas anstrengender machte.

Etwa 2 Kilometer später erschien die erste VP die bereits übervoll mit Wanderern war (diese sind teilweise sogar schon ab 4 Uhr gestartet). Was ich nicht auf dem Schirm hatte, war, dass nach dieser Gelegenheit bis nach dem eigentlichen Aufstieg erstmal nichts mehr mit Verpflegung war.

Glücklicherweise griff ich mir noch einen warmen Tee ab, um meinen Magen wieder in den Griff zu bekommen. Danach schlossen wir sogar wieder auf Juliane auf, die wir im Startgetummel verloren hatten.

Die ersten felsigen Singletrails zeigten sich, die wir zügig mit Stockeinsatz nach oben nahmen. Mori war nun erst recht außer sich vor Freude über die vielen Gelegenheiten zu klettern und zu springen, sodass ich Mühe hatte ihr zu folgen. Wir stiegen höher und tiefer in die Berge ein. Der steinige Trail brachte uns quasi auf die andere Seite des Berges.

Um uns herum waren nur noch Täler und Berge, egal wohin man auch blickte. Ein Gefühl der Freiheit überkam mich, als ich die „Zivilisation“ hinter mir ließ und ich atmete durch. Insgesamt ging es mir nun besser. Auch Oli konnte sich wieder für die Schönheit der Berge begeistern.

Ab diesem Punkt war klar: Wir werden das hier nicht einfach so durchrasen, sondern auch mal innehalten. Ich weiß nicht wann ich das zuletzt in einem Wettkampf gemacht habe. Nie?

(c) https://www.zillertaler-steinbockmarsch.com/fotos-2020/

Der Trail spuckte uns quasi wieder fast ebenerdig, in einer riesigen Talsenke aus, durch welche sich ein tosender Fluss schlängelte. Das Licht wirkte auf einmal ganz bläulich, wegen der ganzen hellgrauen Felsen und den schottrigen Steinen in selbiger Farbe. Wir bogen leicht um die Kurve und vor uns zeigte sich die erste Challenge für Mori und mich.

Ein Teil des Flusses musste über ein schmales, sehr wackliges Brett überquert werden. Es war so laut um mich herum, dass ich fast nichts mehr verstanden habe. Das Brett selbst jedoch, wurde so hoch gelegt, dass Mori nur mit sehr viel Mut von alleine rauf gesprungen wäre. Also leinte ich sie mit klopfendem Herzen an, stieg mit einem Bein in das Wasser und setzte sie auf das Brett. Glücklicherweise ließ sie sich ein Stück von mir vorschicken, sodass ich hinter ihr selbst auf das Brett klettern konnte. Eine Seilversicherung gab es zwar, doch diese diente wohl eher als Wegweiser, als eine wirkliche Stütze.

Stellt euch einfach bildlich vor, wie Mori elegant und ohne Angst vor mir über die Bretter tänzelnd, rechts von uns tost und sprudelt der Fluss, welcher zu unserer Rechten abwärts floss. Ich selbst, leicht in den Knien, geplagt mit Höhenangst, balanciere wie auf rohen Eiern hinterher.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich wahrscheinlich so sehr auf Mori konzentriert, dass Panik einfach keinen Platz hatte. Wir hüpften hinten wieder herunter und ich bin da schon fast vor Stolz geplatzt, wie mein Angsthund vor 1,5 Jahren sich wahrscheinlich lieber selbst umgebracht hätte, als voraus über einen tosenden Fluss zu marschieren.

Und diese Freude von ihr direkt danach! Ich spürte richtig, dass auch ein kleiner Hund Stolz empfinden kann und wie erwartungsvoll sie danach auf der Strecke war.

Fast direkt danach folgte nochmal eine Überquerung, jedoch eine kleinere, über welche jedoch sehr dünne Holzbrettchen gelegt waren, auf welche gerade einmal ein Fuß von mir passte. Es war wie zuvor – Mori zog mich regelrecht drüber und die Leine gab mir irgendwie mehr Balance, weil sie auf Spannung war. Später erfuhr ich, dass alle diese Bretter in großer Regelmäßigkeit einfach weggespült werden.

Kurz danach stiegen wir wieder auf kleinen felsigen Pfaden in den nächsten Anstieg ein.

Wir überholten einen Herrn, der arg zu schnaufen hatte, weshalb ich ihn motivierend anlächelte. „Hier gibt’s nichts mehr zu Lachen!“
„Brauchen Sie etwas, haben Sie Schmerzen..?“
„Nein, nein, ich bekomme nur keine Luft!“, entgegnete er mir und ließ sich auf einen Felsbrocken plumpsen.

Während alles so seinen Lauf nahm und wir uns in Serpentinen immer höher schraubten, machte mich Oli auf etwas aufmerksam, bei dem ich sofort Gänsehaut bekam: „Ach da ist ja die Leiter!“
„Schon!? Ich dachte die kommt erst viel später…“
Ich schaute auf meine Uhr, welche mir gerade mal 7 Kilometer anzeigte. Vor uns eine längere Schlange bis zur Leiter.

DIE Leiter

Ich sah sie genau so weit entfernt, wie auf den vielen Bildern die ich zuvor im Internet gesehen hatte. Ich war also genau so schlau wie die Tage davor und hatte bestimmt noch 20 Minuten Zeit einen Schlachtplan zu entwerfen.

Als wir dann endlich vor der sagenumwobenen Leiter standen und ich ihr ganzes Ausmaß erblicken konnte, wurde ich doch etwas aufgeregt. Wir ließen alle hinter uns die es sehr eilig hatten vorbei, dann rangierte ich Mori direkt vor die Leiter, hob sie ein Stück hoch, in der Hoffnung sie könnte sich auf der Sprosse erstmal hinten selbst abstützen, doch dem war leider nicht so. Ich probierte es noch einmal, aber es war immer so als würde man eine Schildkröte an die Wand halten.

Auf einmal trug der Schall eine Stimme an mein Ohr: „Pack sie auf die Schulter!“ Ab da war ich im Tunnel. Vielleicht hatte mein Unterbewusstsein auf eine Anweisung gewartet. Wie ferngesteuert nahm ich Mori hoch, legte sie mir mit dem Kopf nach hinten über meine linke Schulter. Ich hörte Oli noch sagen: „Komm ich nehme sie“, aber ich war schon auf Mission. Ich bemerkte, dass er sehr nah an mir dran war, sodass er mich hätte packen können, wäre ich gefallen.

Ich hielt mich mit der rechten Hand an der Leiter fest und stieg die dünnen Sprossen einfach hoch. Meine linke Hand war ein verkrampfter Knoten zwischen der Leine und Mori’s Geschirr. Schritt für Schritt, mit Oli im Rücken. Es muss wahrscheinlich ausgesehen haben wie eine Art Läufer-Raupe. Ich stieg, Oli schob.

Ab etwa der Mitte der Leiter schoss mir ein kurzer Panik-Blitz direkt ins Gehirn: „Wenn Mori sich jetzt bewegt, ist es aus“ Ich drückte meine aufsteigenden Tränen zurück in die Drüsen und versuchte meinen Zustand eher in die Atmung einer Schwangeren zu kompensieren. Neben „Potato, potato, ching chong, tomato“, war noch so etwas wie „Weiter, weiter, weiter!“

Oli sah Mori während der Prozedur die ganze Zeit über direkt in die Augen: „Sie waren recht groß, also glücklich war sie nicht, aber sie wusste wohl was von ihr erwartet wurde!“

Wie ein nasser Sack ließ ich meinen Oberkörper endlich auf die Felskante sacken, während ich noch 6m in der Luft auf der Leiter stand. Ich drückte Mori oben zurecht, denn sie konnte jederzeit abrutschen und fallen, da es sehr alpin weiter ging. Oli drückte mich von hinten hoch und wir standen oben. Endlich. Freude, Euphorie und Fassungslosigkeit über unser gemeinsam verrichtetes „Werk“ ließ mich fast gleichzeitig lachen und beinahe weinen.

Leider gibt es keine Fotos von dieser Aktion – also wer das hier ließt und vielleicht bei uns war und ein Bild gemacht hat, meldet euch gerne!

Fast wieder ruhig

Mit zittrigen Händen stiegen und kletterten wir weiter hoch. Gerade als ich mich fast wieder beruhigt hatte, kamen die kleinen Klettersteige. Diese bekam ich relativ gut hin, nur kostete mich all das viel mehr Energie mit Mori. So gesehen machte ich mit 11kg Lebendgewicht zahlreiche Kniebeugen und liftete sie dann über meinen Kopf auf das nächste mini-Plateau, bevor ich selbst auf dickeren Nägeln im Stein, hinaufstieg. Wenn es zu hoch war, kletterte Oli vor, legte sich nach unten und ich reichte ihm Mori entgegen.

Einmal setzte ich sie ein paar Zentimeter falsch ab, stieg hinterher und sie rutschte zeitgleich über den Abhang. Alles was sie hielt war die Leine aus verknotetem Parachuteseil und das Geschirr, was ich glücklicherweise zuvor nochmal enger gezogen hatte. Sie starrte mich mit großen Augen an und hatte die beiden Vorderpfoten an den abschüssigen Fels vor ihr gesetzt. Es sah aus wie in den klassischen Filmen einer Rettung am Abgrund.

Ich zog sie nach oben – mein ganzer Körper war vollgepumpt mit Adrenalin. Dennoch ist es unfassbar wie ruhig wir beide in dieser Situation geblieben sind. Sie war direkt danach auch gar nicht verstört, sie schüttelte sich und hüpfte munter an der Leine die Felsen nach oben. Manchmal schaffte sie es nicht auf Anhieb, nahm nochmal Anlauf oder ich unterstützte sie dabei.

In meinem Kopf mussten sowas wie Drogen am Werk gewesen sein, ein Cocktail aus Adrenalin, Glückseeligkeit und vielen weiteren Emotionen. Und dann ist da noch dieser kleine Hund, welcher mir nicht mal bis zum Knie reicht und tatsächlich vorzuhaben schien mit mir bis auf 3000m Höhe zu klettern ❤

Dies waren noch die leichten Passagen rauf zur Mörchnerscharte

Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, stiegen wir kontinuierlich weiter die Serpentinen hinauf. Ich wollte wieder etwas anrennen bzw sehr schnell gehen, aber wir kamen auf den engen Pfaden einfach nicht an den Wanderern des Steinbockmarschs vorbei, also beließen wir es erstmal so.

Mit Zeit und Höhenmetern trennte sich die Spreu immer mehr vom Weizen. Wir mussten noch 1000 Höhenmeter auf 3 Kilometer unter die Füße nehmen und je höher wir kamen, desto mehr machte mir die dünnere Luft zu schaffen.

Mori, die zuvor noch smart die Serpentinen über die Wiesen geschnitten hatte, war nun direkt hinter mir und hechelte ebenfalls stärker. Man sah nach oben, es sah so greifbar aus und gleichzeitig so fern. Ich glaube ich bin noch nie so langsam gelaufen und habe dabei einen so hohen Puls gehabt. Je höher wir kamen, desto hochalpiner wurde es. Ein Schritt, manchmal mehr als nur 1 Höhenmeter. Wir sahen viele Leute die sich sehr überschätzt hatten. Jeder 4. vor uns setzte sich auf einmal einfach auf den nächsten Stein. Dann kamen plötzlich auch wieder ein paar Kletterpassagen ins Spiel, die mir die Körner zogen.

Ich hatte zuvor etwa 3 Clif Bloks auf den Serpentinen gegessen und hatte mich nicht hungrig gefühlt. Wir steuerten bereits auf die 3 Stunden zu und in diesem Gelände und dieser Höhe hält ein Porrdige von morgens um 4 Uhr einfach nicht so lange vor.

Ich konnte aber auch nicht essen, dazu war es zu spät, denn dazu hätte ich kurz stehenbleiben müssen. Es fühlte sich auch nicht nach Not an, jedoch stieg ich mich mit jedem Schritt leer und leerer. Mir wurde leicht schwindelig, ich sah auf die Uhr… noch 300 Höhenmeter.

Ich überholte wortlos einige Mitstreiter, darunter war eine Frau die so bleich im Gesicht war und derart langsam und etwas unkoordiniert, dass ich kurz bei ihr blieb und sie fragte ob alles okay sei. Das war es nämlich nicht. Ich fragte ob sie meine Stöcke bräuchte. Sie verneinte erst, ich war im Begriff sie wieder zu überholen, als mich ein leises „Ja okay“ erreichte. Also überließ ich ihr meine Stöcke, wir würden uns schon irgendwann wiedersehen oder sie gibt sie einfach im Zielbereich ab.

Wie das Leben ohne Stöcke seinen Lauf nahm, bemerkte ich prompt. Mit den Händen auf den Knien (soweit möglich) schraubte ich mich immer weiter nach oben. Es war wirklich zäh und äußerst Kräftezehrend, dennoch kenne ich mittlerweile meinen Körper und weiß dass ich das durchstehe.

Die letzten Meter zum Grad der Mörchnerscharte waren echt hässlich, aber dann eben auch vorbei. Ich ließ mich an die Seite auf einen glatten Fels nieder und war unfassbar stolz auf Mori, die sich ganz eng neben mich kuschelte. Ich streichelte sie und auch andere die sie dort oben sahen trauten ihren Augen nicht.

Mori bekam ein Stück meines Riegels und zusammen starrten wir wortlos das Bergpanorama an, mein Inneres voller Liebe und der mir unbegreiflichen Bindung zwischen uns. Mein Seelenhund, der mir gar nichts mehr beweisen muss und es dennoch macht, weil er wie ich das Laufen liebt.

Es gab auch nochmal eine kleine Teestation, aus der mir Oli Mannerschnitten abgriff, ich mein Wasser an einer mini Quelle auffüllte und auch Mori konnte wieder etwas trinken.

Gipfel und Grade sind nur so lange schön, ehe es kalt wird und so machen wir uns bereit für den Downhill, der mir einiges abverlangt und zunächst aus 250 Höhenmetern / Kilometer abwärts besteht. Und selbst das sagt noch nichts aus, wenn man den Untergrund nicht sieht. In unserem Fall waren das ein Haufen loser Steine, gar wie Schiefer und dann kam ein Schneefeld, über das ich anfing zu rennen, fast stürzte, weil der Schnee schon sehr angetaut war. Das nahm Mori zum Anlass am Schnee zu lecken und schließlich auch hineinzubeißen. Ich freute mich ihr diesen Abenteuerlauf bieten zu können 🙂

Weiter ging es auf sehr schmalen Trails, mal kurz flowig, aber der größte Anteil waren einfach nur Steine in allen Formen und Größen, dazu kam immer wieder aufgeweichter Boden und kleine Gewässer die den Trail überspülten.

0,3 Prozent Flowtrail

Ich trug die noch relativ neuen Superior 4.5 von Altra und durfte dann feststellen, dass die Kombination nasser Schuh und trockener Fels eine ganz blöde ist. Ich fand mich plötzlich in den Armen einer Wandergruppe wieder, die mir gerade entgegenkamen. Ab da war ich vorsichtiger, jedoch machte es mich auch langsamer.

Wir ließen Mori im Matsch und einem kleinen Tümpel spielen, sie war immer noch außer sich vor Freude und randgefüllt mit irgendetwas Großartigen in ihr.

Downhill zur Berliner Hütte

Der Downhill zog sich ewig, doch irgendwann spuckte er uns bei der Berliner Hütte aus.

Mori traf dort auf einen großen weißen Hund, den sie kurz verbellte und ich hatte nochmal die Möglichkeit einen Tee zu trinken und mir ein halbes Brot mitzunehmen. Zum Teetrinken musste ich mich setzen, da er einfach viel zu heiß war. Aber egal, ich war irgendwie entspannt.

Wir rannten weiter, meine Beine schon etwas mitgenommen und ganz langsam konnten wir immer mehr beschleunigen. Wir kamen an Kühen vorbei die teilweise mitten auf dem Weg standen. Eine davon guckte so lieb, dass ich sie unbedingt streicheln musste. Mori schaute nur, ihr waren die Kühe egal.

Danach setzten wir für mehrere Kilometer zum Schlussspurt an, irgendwie tat es weh, irgendwie auch nicht.

Noch immer erreichten uns Rufe wie: „Der Waldi läuft ja auch mit!“ und: „Ohhh da ist ja noch ein Hund der mitläuft! Den ganzen Lauf?“ Ich lachte und feuerte Mori an, während wir langsam im Wald verschwanden, aber immerhin noch Zeit für ein Foto eines wirklich schönen Wasserfalls hatten.

Mein Brot, Mori und ich

Plötzlich hörten wir schon Leute im Ziel johlen, was wir jedoch noch nicht sehen konnten. Eine Kurve später war es dann soweit – Mori wurde richtig angestachelt und wir legten noch einen Zahn zu. Hand in Hand durchliefen wir den Zielbogen, gemeinsam mit meiner kleinen Raketen-Wurst. So stolz!

Nach über 5 Stunden (4:19h wären es ohne Pausen und Warten gewesen), Adrenalin, Freude, Gelassenheit und vor allem Dankbarkeit, ließ ich mich zusammen mit den anderen und einer recht schönen Medaille abseits der Lautsprecher nieder.

Juliane begrüßte uns stürmisch, sie war mit etwa 4:30h 5. Frau geworden und zeitgleich auch so stolz auf die kleine Mori. Sie selbst hatte etwas Angst auf der Leiter und hätte sich nicht vorstellen können, dies mit einer Hand zu tun. Ehrlich gesagt, ich rückblickend auch nicht mehr.

Jedoch bin ich so so froh, mal wieder ins kalte Wasser gesprungen zu sein, etwas gewagt zu haben und so reich belohnt worden zu sein. Nicht nur mit Mori, sondern auch durch den Lauf an sich, die Leute, meine Freunde und unsere vielen (teilweise sehr tiefsinnigen Gespräche) an diesem Wochenende. Danke!

— Jamie

PS: Leider habe ich meine Stöcke nicht wieder bekommen. Mir war das Risiko bewusst, aber es wäre echt eine nette Geste gewesen diese im Naturhaus oder im Zielbereich zu hinterlegen. Ich hoffe diejenige kam trotzdem noch gut durch den Lauf.

PPS: So sieht eine glückliche Mori nach dem Lauf aus:

4 Gedanken zu “Zillertaler Steinbocklauf mit Hund 22.08.2020

  1. Hallo Jamie,
    klasse Story, sehr dynamisch geschrieben. Es hat Spaß gemacht, Deinen Bericht zu lesen. Das war ja wirklich ein mega-intensives Erlebnis für Dich & Mori. Weiterhin alles Gute! LG, Uwe

  2. Hallo Jamie, vielen Dank für den tollen Bericht, da hab ich richtig Gänsehaut bekommen 🙂 Mori ist schon ein super Hund, schön, dass ihr euch gefunden habt. Ich hoffe, Du bekommst Deine Stöcke wieder… Das war echt super lieb von Dir. Toll, dass es Leute wie dich gibt. LG Karin

    1. Hallo liebe Karin, lieben Dank auch dir! Mori bereichert mein Leben ungemein 🙂 Die Stöcke kann ich mittlerweile verschmerzen – so gesehen habe ich daher einen Grund mir irgendwann mal etwas „Gescheites“ zuzulegen 😀
      Liebe Grüße, Jamie

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