Nord-Holland: eine trailige Überraschung

Weitaus spontaner als wir sonst einen Urlaub planen würden fuhren wir mit Sack und Pack Richtung Julianadorp in Nord-Holland. „Dorp“ steht in diesem Fall für „Dorf“ und viel mehr ist es auch nicht – das waren mitunter die ersten Worte der Person, die uns die Schlüssel unserer Ferienwohnung überreichte. Ich persönlich stehe ja auf am-Arsch-der-Welt-Urlaube, solange sie in der Natur stattfinden. 300m bis zum Meer – das schrie direkt nach Strandläufen.

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Ein reiner Laufurlaub sollte das dennoch nicht werden, auch wenn Thomas noch nicht ganz klar war, dass Marisa und ich eigentlich täglich morgens die Laufschuhe schnürten, um dann entspannt den restlichen Tag weiter zu planen.

Für mich hieß das vor allem: vorbei die Zeit alleine durch die Gegend zu rennen. Endlich eine Vereinigung der Labertaschen, gleiches Laufniveau. Somit konnten wir nur so zugucken wie die Kilometer verpufften.

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Daher hieß es gleich am nächsten Morgen um kurz nach 8 Uhr: guten Morgen Fahrtspiel! Treppen runter, Tür auf und uns begrüßte direkt die kalte, salzige Meeresluft. Starker Gegenwind inklusive. Kurz über eine Straße und schon verschwanden wir leicht bergan zwischen den Dünen und es wurde beinahe windstill – und Hilfe, direkt viel zu warm! Dass das ein Trugschluss war, stellte ich spätestens dann fest, als wir mit dem vorletzten Sprint aus den Dünen herauskatapultiert wurden und plötzlich auf ein hügeliges Auf- und Ab blickten und der Wind wieder einsetzte. Es offenbarte sich eine Landschaft, die zugleich an Afrika, Island und Sardinien denken ließ. Damit hatten wir nicht gerechnet.

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Unsere Füße ertasteten die ersten Dünentrails: ein sandiges, aber gut laufbares Gemisch, gesäumt von Narzissen in voller Blüte. Dann ging es gleich rasant kurz steil nach oben und downhill wieder runter, Kurve links, rechts, links… immer und immer wieder. Wenn das nicht prädestiniert für das Fahrtspiel war, dann weiß ich es auch nicht!

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Nach ca. 6 Kilometern machte ich rechts eine Art kleinen Wald aus und ab da wurde es so richtig trailig: Wurzeln, tiefer Sand, Gestrüpp und steile Anstiege die man überwinden musste, ehe man den weiteren Weg, äh Trail, ausmachen konnte. Daher liefen wir auch recht schnell in eine Sackgasse hinein und fanden uns umgeben von dornigen Geäst wieder, sodass wir kehrt machen mussten. Recht bald kam aber nochmal eine Chance in den Wald zu kommen, der so ganz anders als der Taunus ist. Aber auch hier gab es wieder ein paar Singletrails oder wurzelige Hügel die man laufen konnte. Überall wo es schön aussah bogen wir einfach ein, sodass wir zu einem kleinen See kamen, den man in etwa einem Kilometer komplett umrunden konnte.

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Auf weichen Nadelbetten federten wir zurück auf die Dünentrails und konnten in einem Loop zurück zu unserem Ferienhaus laufen. Bis auf 2-3 Spaziergänger begegnete man einfach niemanden und das war herrlich.

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Leicht unterzuckert machten wir uns über das erste Frühstück des Tages her und planten nebenbei den weiteren Tagesverlauf. Es zog sich immer wieder etwas zu, aber das hielt uns nicht davon ab nach Den Helder zu fahren, um mit der Fähre nach Texel zu schippern. Die Fähre glich einer kleineren Version eines Kreuzfahrtschiffs – man merkte eigentlich gar nicht, dass man sich auf dem Wasser befand. Für die Leute dort war es das normalste der Welt, als Pendler, Mountainbiker oder Schüler diese 20min über das Wasser zurückzulegen.

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In Texel angekommen wurden wir fast weggeweht, charterten dann aber doch drei Hollandräder (mit nur geringfügig funktionierenden Bremsen) und radelten einfach los. Wohin wussten wir auch noch nicht so genau. Es machte einfach Spaß, weil wir alle irgendwie lustig aussahen, wir das Bremsen absprechen mussten und gefühlt jeden Kilometer einmal irgendwo anhielten, um Bilder zu machen, eine Aussicht zu genießen oder einfach sinnfrei durch die Gegend zu springen.

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Wir überquerten fast die ganze Insel, vorbei an komisch mähenden Schafen (das eine gab laute Rülpsgeräusche von sich), fast schon kitschigen Tulpenfeldern, Windmühlen, kleinen Städtchen, in welchen man in quasi jedes Wohnzimmer schauen konnte – wir haben also jedes Klischee erfüllen können. Zwischendurch schlossen wir die Räder an und probierten uns durch den ein oder anderen Käse-Laden.

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Wie lange wir schon unterwegs waren wurde uns jedoch erst bewusst als wir anfingen gegenzurechnen, dass wir ja alles auch wieder zurück strampeln mussten. Als wir beim Ecomare ankamen (Naturkundemuseum), hatte das natürlich schon geschlossen. Also stellten wir die Räder wieder ab und begaben uns einfach runter zum Strand bis wir fast Erfrierungen hatten und kurvten dann mit unseren Holland-Harleys wieder Richtung Fähre.

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Der penetrante Gegenwind zog dann auch noch das letzte Körnchen Energie – mit 3 Gängen ist das nicht so das Vergnügen, man kam einfach nicht vorwärts. Kurzer Disput zum Thema „der schnellste Weg zum Hollandrad-Verleih“, während sich mein Hintern langsam lautstark über den viel zu weichen Sattel beschwerte. In der Ferne sah man langsam den Hafen auftauchen und pünktlich zum Sandmännchen schipperten wir wieder mit der Fähre nach Den Helder – fix und fertig.

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Dafür wurde der nächste Morgen dann wieder eher easy – 14km in 5:45. Wurde natürlich wegen der Dünentrails wieder schneller, aber als wir uns dazu entschlossen auf dem Rückweg die letzten Kilometer am Strand zu laufen, bremste uns der Sand wieder etwas aus. Spontan rissen wir uns die Schuhe von den Füßen und rannten in der eiskalten (!) Brandung, spielten Muschelslalom, begegneten Reitern und auch Hundefreunden. Die meisten lächelten über uns – zwei Mädels mit bunten Schuhen in der einen Hand, die noch vor dem Frühstück breit grinsend und total verstrahlt durch die Gegend rennen. Die Zeit hatten wir im Übrigen auch vergessen. 5 Kilometer Barfuß – nichts mit Five Fingers! Und auch keine Probleme mehr mit Wade oder Achillessehne 🙂

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Wir nutzten die Stangen am Strandzugang für ein buchstäblich „ausgedehntes“ Programm. Viel schöner als sich daheim die Dielen anzugucken.

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In puncto Rumlaufen gab es aber noch einiges zu tun. Einmal im Nieselregen und viel Wind quer durch Den Helder und zum großen Leuchtturm, bevor der Wolkenbruch richtig losging. Wir flüchteten uns in Supermärkte und stockten die Vorräte unserer Ferienwohnung auf – jeder Abend war ein wahres Koch-Gelage sage ich nur 😀

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Manchmal trifft es mich dann zwischenzeitlich in ruhigeren Momenten wie ein Blitz, direkt ins Läuferhirn. Und dann kommen so Gedanken an den nächsten Lauf, an den Trainingsplan und die unbändige Lust mal wieder etwas zu tun, von dem wahrscheinlich kaum jemand was hält. Vielleicht kennt das ja wer. Im Prinzip gab es nur zwei Optionen: 22km Trail mit sage und schreibe knapp 1200HM in Schoorl (hier gehts direkt zum Track: -gpsies-) oder einen langen halb-Trail vor der Haustür (auf 13km konnte man immerhin 100HM auftreiben).

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Als mir um etwa halb 7 die Augen aufsprangen, wusste ich was zu tun war. Ich hatte Lust auf Laufen bis ich keine Lust mehr hatte. Zudem war ich trotz Meeresluft (aber Dank dem Wind) so Allergie-geplagt, dass ich mit meinen geschwollenen Augen fast nichts mehr sehen konnte – sobald ich aber zwischen den Dünen war, ging es mir jedes Mal wieder besser. Also Laufrucksack schultern, ein, zwei Riegel einpacken und irgendwo am Hintern der Welt einfach losrennen. Meine Augen nahmen nach einer Stunde recht bald wieder einen annehmbaren Zustand an, sodass ich drei weitere Läufer in der Ferne ausmachen konnte. Da ich zur Abwechslung mal in die andere Richtung lief, dachte ich mir, dass ich ihnen erstmal unauffällig folge. So rannte ich Stufen zu einer Plattform hinauf, wieder herunter und merkte, dass ich flotter unterwegs war als ich dachte, grüßte, überholte, verschwand irgendwo im Dünennirvana und wusste plötzlich nicht mehr wo es weiter ging. Wartete kurz auf die drei Herren und fragte dann, wo man denn hier und da lang käme. „Keine Ahnung, wir laufen hier heute zum ersten Mal!“

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Also liefen wir zu viert weiter, in eine Sackgasse: quasi in einen Kreisel zwischen den Dünen, in der Mitte ein kleiner Aussichtsturm. An den Rändern verschiedene Gatter. Ich öffnete eins, der Rest folgte mir. Wir rannten durch die Pampa, in einen Dünenkessel. Sah aus wie Safari. Holland-Safari. Nicht ganz so weit entfernt, standen ein paar Hochland-Rinder. „Uhh der hat aber große Hörner!“ Ich lachte noch, war aber trotzdem froh nicht alleine sein zu müssen. Immer wieder registrierte ich Blicke, die meinen Laufrucksack streiften. Dann irgendwie irgendwann die Frage, ob ich Ultras laufe. „Mit Berg?!“ „Ja, mit Berg!“ 😀 Leider konnte ich sie für den Tag nicht mit wenigstens einem Halbmarathon begeistern, also zogen sie weiter zum Strand und ich stoisch weiter in die andere Richtung, mittlerweile richtig in Fahrt. Es lief einfach nur, Hügel rauf, Hügel runter. Musik im Ohr, ein fettes Grinsen im Gesicht. Als ich plötzlich in einem Dörfchen stand, entschloss ich mich wieder umzudrehen und über parallele Wege wieder zurückzulaufen, der Asphalt war mir irgendwie dann doch zu langweilig.

Dann kam ich nach einer schmalen Treppe wieder an einen Scheideweg: Tor 1, 2 oder 3? Wo ist der Zonk? Ich entschloss mich für Tor 2 und befand mich wieder in einem Kessel, weit und breit kein Mensch. Ich rannte weiter, um eine Kurve und plötzlich stand da wieder eines dieser Rinder mit den nicht gerade unbeachtlichen Hörnern. Es thronte auf einem kleinen Hügel, an dem ich in einem Abstand von lediglich 10 Metern, vorbei musste. Der Kopf wurde in meine Richtung gedreht und ich wurde kritisch beäugt. Unterhalb des Hügels standen versetzt weitere der Tiere, starrten mich alle an. Ich versuchte nicht zurückzustarren. Ich kenne zwar die Körpersprache der Pferde, ich kann auch eine freundliche von einer wütenden Kuh unterscheiden, aber das war mir bei diesen Rindern unmöglich. Mein Herz raste, ich verfiel in den Wanderschritt und beobachtete die Kollegen aus den Augenwinkeln. Mindestens einen Kilometer musste ich durch deren Territorium und war mir bei keinem Schritt sicher, ob sich nicht doch noch einer entschloss gegen mich zu gehen. Weglaufen wäre nicht möglich gewesen. Links und rechts von mir steile Hänge, dicht bewachsen, ganz oben ein Zaun mit Stacheldraht. Mir wäre nur die Flucht nach vorn geblieben und im Zweifelsfall wäre das wohl der schnellste Kilometer meines Lebens geworden.

Mit ziemlich weichen Knien trat ich durch das rettende Tor hindurch und studierte erstmals das Schild neben diesem. Darauf aufgemalt war so ein Rind und den einzigen Satz den ich verstand, war dieser: „25m afstand is van belang“

Nach knapp 20 Kilometern streifte ich wieder unser Haus, rannte aber noch weiter Richtung Den Helder, fast bis zum Leuchtturm, bog auch mal leicht off-Trail ab, begegnete immer mehr Läufern die mir freundlich zunickten, drehte oben wieder ab, kurvte durch den Holland-Wald nochmal zum See und merkte nach 27km erstmals dass ich Beine habe. Ab da wurde es nicht mehr ganz so fluffig, aber ich war halt anfangs auch nicht ganz so langsam unterwegs gewesen. Also fing ich an am Riegel zu knabbern und entschloss mich, es anstelle eines Marathons, schon nach 35km gut sein zu lassen. Vor nicht allzulanger Zeit hätte ich mich wahrscheinlich noch weiter gequält, aber das war mir einfach egal. Laufen, so lange bis ich keine Lust mehr hatte und nach 35km hatte ich wirklich keine Lust mehr 🙂

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Ein bisschen verstrahlt und langsam im Kopf und Körper schaffte ich es noch kurz auf die Blackroll und dann fuhren wir gemeinsam nach Alkmaar, wo ich quasi noch ein paar Stunden „auslaufen“ durfte 😀 Es war wahnsinnig schön dort, wir hatten bestes Wetter, noch mehr Käse und ich am Ende über 50 Tausend Schritte auf der Uhr stehen, weil wir nach Alkmaar noch über diese unfassbar lange Brücke quer über das Meer fuhren und den kitschigsten Sonnenuntergang, inklusive Regenbogen, den ich je gesehen habe, präsentiert bekamen. Was da hieß, wieder rumlaufen und Bilder machen. Ich wartete noch auf das rosa Einhorn, aber es kam nicht.

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Wir haben es uns auch nicht nehmen lassen, einmal in Laufklamotten pünktlich zum Sonnenuntergang in Julianadorp, herumzuspazieren und einfach mal loszusprinten wenn uns danach war. War eine tolle Stimmung und schöne Bilder haben wir jetzt auch 🙂

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Perspektivenwechsel

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Also lasst uns eins festhalten: Holland ist keinesfalls so flach wie angenommen und hat landschaftlich durchaus mehr zu bieten als Tulpen und Windräder!

— Jamie

4 Gedanken zu “Nord-Holland: eine trailige Überraschung

  1. Trails gibts einfach überall. Und nicht nur in den Bergen. Einfach wunderbar dein Bericht und deine Lauffreude.
    Nur eine Frage bleibt: Wie hat es Thomas geschafft mit zwei so hübsche Frauen Urlaub machen zu dürfen? 😀

    1. Ja, was ein Glück aber auch 😀 Freut mich, dass ich dich ein bisschen mitnehmen konnte! Zu deiner Frage: wenn man sich benimmt, uns bis nach Holland chauffiert und uns den täglichen Lauf am Morgen zugesteht, dann darf man auch mal der Hahn im Korb sein 😛

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