Meine Gedanken aus 3 Jahren Home Office zu Covid-19

Leute, wir müssen reden. Eigentlich habe ich fest geplant, dass dieser Beitrag sich um meine Endorphine und die Leichtigkeit der Laufschritte, beim Frankfurter Halbmarathon, drehen sollte. Um euch nicht gänzlich zu enttäuschen, ganz kurz: Es war einer der schönsten Halbmarathons für mich. Weshalb? Weil ich meine Bestzeit nur um 1 Minute verpasst hatte, aber bis km 17 noch lachen und reden konnte. Meine übernommene Startnummer mit dem Namen „Jürgen“, machte die Sache noch witziger für meine Mitläufer. Ich war und bin null enttäuscht, sondern einfach nur mega zufrieden. Auch dass ich für mich entschieden hatte, an diesem Tag aus persönlichen Gründen nicht meine Limits auszuloten. Das ist okay.

Wie ich jetzt die Überleitung zu Home Office und Co. (wie Co.rona) schaffen soll, ist mir nicht so ganz klar, aber schauen wir uns doch erstmal die aktuelle Situation an. Seit mitunter einem Monat sitzt ein Großteil der deutschen Bevölkerung durch den angeordneten Lockdown im Home Office, während nicht wegzudenkende Berufe (Ärzte, Pfleger, Polizei, Feuerwehr, Post… die Liste ist wahrscheinlich doch länger als wir glauben) in Arbeit ersticken. Ein anderer Teil kämpft um seine Existenz, weil er nicht mehr verkaufen oder bewirten darf, Künstler dürfen nicht mehr raus in die Welt, um zu zeigen was sie im stillen Kämmerlein ausgetüftelt haben. Wie es um Personen steht, die vielleicht kurz vor Covid-19 Wohnung und Job gekündigt haben, weil sie durch die Welt reisen wollten – daran mag ich gar nicht denken.

Wirtschaftliche Schäden gibt es bereits und diese werden nicht weniger. Ich will hier jetzt nicht darüber philosophieren, wer oder was hier zuerst den Bach runtergeht, oder wie man die Brücke schlägt „Flatten the curve“ umzusetzen und gleichzeitig die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Auch die Dauer der aktuellen Maßnahmen ist (aus meiner Sicht) ungewiss. Ich persönlich glaube nicht daran, dass der Osterhase die Lockerungen bringen wird. Vielleicht wird es diese zeitweise geben, aber ich denke, dass wir uns bis Ende diesen Jahres mit Sicherheit noch mit Corona beschäftigen dürfen.
Wie komme ich darauf? Seht euch dieses wunderbar rationale Video von –maiLab– an. Aber auch jeder klar denkende Mensch kann selbst darauf kommen, dass so ein Virus nicht einfach von heute auf morgen wieder verschwindet.

So. Da sitzen wir nun im Home Office und sehen dabei einer stetigen Social Media-Bewegung zu, die danach trachtet sich immer wieder etwas neues zum Thema Corona, Hamsterkäufen, Workouts und dem #wirbleibenzuhause auszudenken. Versteht mich nicht falsch, auch ich habe Humor. Auch ich habe Memes mit Klopapier gepostet oder etwas über die Zustände gesagt, in denen wir gerade leben. Auch ich hatte meine Momente, in denen ich mehr als nur ein dumpfes Gefühl im Bauch hatte.

Was mich nicht nur an 2020 stört, sondern auch schon 2019 und wahrscheinlich die Jahre davor gestört hat: Wieso werden immer mehr Hypes um Nebensächlichkeiten gemacht? Und vor allem: Warum ist Corona irgendwie doch cool? Ich hoffe ihr könnt meinen Gedanken noch folgen.

Lasst einfach mal in Vogelperspektive auf euch wirken was hier medial gerade abläuft. Denkt an die unzähligen Home-workouts die gerade von beinahe jedem durchgezogen werden. An die tausenden Memes über Covid-19, das 1337 Video wie man sein Leben nun zu Hause gestaltet. Denkt an die Home Office-Experten, die plötzlich aus dem Boden sprießen. Und denkt vor allem an die armen Personen, die nun von zu Hause arbeiten müssen (können und dürfen!) und viele jammern. Ja ich weiß, bei all dem: Ausnahmen bestätigen die Regel. Dennoch spreche ich von dem was man auf den Präsentierteller bekommt – seien es Beiträge, Bilder, Textnachrichten, das liebe Fernsehen, Youtube (-Vorschläge) oder einfach nur die Leute auf der Straße und deren Gesprächsthemen.

Home Office ist das Thema! Es erscheint gleich neben Corona und genau wie das Virus, ist dieses Thema noch nicht abgefrühstückt. Und oh ja, ich hoffe ihr merkt wie sehr es mir gerade in den Fingern juckt, das was jetzt kommt einfach runterzuschreiben.

Beginnen wir einfach mal ganz von vorne, als noch keiner wusste, dass die Menschheit demnächst der Apokalypse ein kleines Stück näher kommt. Seit Mitte 2017 zähle ich mich zu den (Achtung:) privilegierten Menschen, die zu 97% von zu Hause aus arbeiten. Dürfen! Das sind bald 3 Jahre.

Ich werde oft gefragt, was ich arbeite, dass ich so trainieren kann. (Der Witz ist, das habe ich auch mit den gängigen Bürozeiten unter bekommen, und das sage ich meinem Gegenüber auch manchmal). Wenn ich dann erzähle, dass ich von zu Hause aus arbeite, dann gibt es verschiedene Reaktionen darauf. Einige sprechen ihren „Neid“ direkt aus, andere werden schweigsam und wieder andere sagen, dass sei doch nicht üblich oder normalerweise gar möglich. Die häufigste Antwort aber ist folgende: „Das könnte ich nicht. Ich brauche meine Kollegen/Kaffeepause o.ä.“

Übersetzt heißt das: Ich brauche ein Sozialleben. Und das ist okay. Ich brauche auch mein Sozialleben. Als Lehrerin würde ich natürlich auch nicht darüber nachdenken, remote zu arbeiten. Deswegen bin ich nicht in so einem Job. Aus diesem Grund schließe ich solche Argumente in dieser Erörterung aus. Ebenfalls ausgeschlossen sind Personen, die Karriere machen wollen oder deren Bestimmung es ist, ihren Job zu leben. Auch das verdient Respekt. Es geht mir nur um Berufe, wo es Sinn machen würde gänzlich oder teilweise im Home Office zu arbeiten.

Um es ehrlich zu formulieren: meine Arbeit ersetzt nicht mein Sozialleben, sie ist höchstens ein kleiner Teil davon. Trotzdem lasse ich engere Kontakte meiner Kollegen mit mir zu und freue mich sehr, wenn tatsächlich Freundschaften daraus entstehen. Das hat jedoch Seltenheitswert. Ich lebe meinen Minimalismus auch bei sozialen Kontakten bzw. Freundschaften. Meine sehr engen Freunde kann man an etwas mehr als einer Hand abzählen. Ich verspüre keinen Druck, ständig unter Menschen sein zu müssen. Genau so wie ich nach meinem Studium nie wieder den Druck oder Wunsch verspürt habe die Nacht durchzumachen, um feiern zu gehen (außer, es handelt sich um einen Ultra 😉 ). Das ist mein persönliches Mindset, zu tun was mir gut tut, dabei anderen natürlich nicht zu schaden.

Das hat etwas mit Nein-Sagen zu tun. Home Office ist für mich Nein-Sagen. Nein zu einem 9 to 5 Job (oder nicht selten zu einem 8 to 7 Job). Nein zu nicht (für mich) effektiv genutzten Leerlaufzeiten. Nein zu Reizüberflutung. Nein zu Anfahrtszeiten. Nein zu ständiger Präsenz.

Ich habe 4 Jahre in einem mittelständischen Unternehmen gearbeitet und bereits nach 2 Jahren das dumpfe Gefühl gehabt, dass ich irgendwann daran zerbrechen werde. Ich wurde immer mehr zu einer Person die sich auf den Feierabend, das Wochenende und den Urlaub freute. Was total legitim ist. Aber nicht, wenn es das einzige ist was einen antreibt, um die Woche herumzubekommen. Das fühlte sich für mich nicht nach Lebensqualität an.

Ich bekam sehr oft zu hören „Willkommen in der Normalität“ oder „Dann kündige halt deinen Job“. Nichts davon hätte das geändert was mich so sehr belastete: Das Gefühl eingesperrt zu sein. Nichtsdestotrotz habe ich das Beste daraus gemacht, mir meine eigenen kleinen Inseln geschaffen. Habe so viel mit meiner Kollegin gelacht wie wahrscheinlich nie mehr in meinem Leben in irgendeinem Job. Nahm den Hund meiner Mutter mit ins Büro. Lief morgens um kurz vor 6 über die Felder oder brach (bei Regen) abends gegen 8 Uhr mit Stirnlampe zu einen meiner längeren Trailrunden auf. Das gab mir das Gefühl der Kontrolle und es machte mich innerlich stärker. Gleichzeitig wurde mir klar, dass ich es in der Hand habe und etwas ändern musste.

Das erste was ich tat, war auf eine (mickrige) Gehaltserhöhung zu verzichten, mit der Aussicht auf ewig Junior Konzepterin zu bleiben, aber dafür rigoros um 17:30h meine Jacke vom Haken zu nehmen und nach Hause zu gehen. Mir war an diesem Tag mehr als bewusst, dass ich nicht lebe um zu arbeiten. Dass ich nicht der Typ Mensch bin, der eine Karriere im Leben braucht. Mir war bewusst, dass ich finanziell nie besonders große Sprünge machen würde. Doch mir war auch nie so klar, dass all das was ich hätte vielleicht haben können, gar nicht so wichtig war.

Deshalb geht mir das was ich auf dieser Welt und vor allem in Deutschland hier gerade sehe, irgendwie auf den Keks. Der Punkt ist, dass dieser ganze Home Office Hype mir aktuell nur suggeriert, dass das Gros der Menschen nicht mehr weiß, was man mit sich selbst anfängt.

Es haben sich in den zwei Stadien der Restriktionen bzgl. Covid-19 für mich unterschiedliche Beobachtungen und Verhaltensweisen herauskristallisiert:

  1. Die Phase der ersten Restriktionen mit dem Gebot: Keine Gruppe größer als 5 Leute. Keine Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen. Kurzzeitarbeit, Home Office, Urlaub, wenn möglich.
  2. Die Phase des Lockdown: Das Haus nur für das Nötigste verlassen . Nur mit der Familie oder dem Partner unterwegs sein oder einer Einzelperson im Abstand von 1,5m.

Meine Beobachtung zu Phase 1: Plötzlich war ich im Wald nicht mehr alleine, die Waldautobahnen wurden zum Mainufer, im Feld tummelten sich Jugendliche die teilweise wie die Hühner auf der Stange auf einer Bank saßen. Die Stimmung wirkte beinahe beschwingt, anstatt bedrückt. Vor allem Menschen im mittleren Alter waren plötzlich Feuer und Flamme ihre neu gewonnene (Frei)Zeit in vollen Zügen auszukosten. Wer will es ihnen verdenken? Doch sollte man sich auch die Frage stellen was da im Leben und Job zuvor schon schief gelaufen ist, sodass der eigene Egoismus über das Wohl der Risikogruppen gestellt wurde. Es suggeriert mir, dass viele Personen mit ihrem Leben vorher nicht ganz einverstanden waren. Vielleicht waren auch einige unter ihnen, die der Meinung sind, dieses System in dem sie stecken sei normal und nicht veränderbar.

Jetzt machen wir mal ein kleines Gedankenexperiment und stellen uns vor, dass irgendwann wieder alles in geregelten Bahnen verläuft und genau solche Menschen wieder in ihr System zurück müssen. Wie viele von ihnen werden das ohne Murren bewerkstelligen? Wie viele werden sich auflehnen? Wer wird aussteigen? Oder wer erkennt, dass er sein Leben schon viel früher hätte ändern müssen?

Wahrscheinlich wird allein deswegen nichts mehr wie vorher. Unternehmen, die sich zuvor gegen Home Office gewehrt haben, haben nun die Möglichkeit zu sehen, wie ihre Mitarbeiter ihre angeordnete Chance nutzen und zeigen, dass Home Office eine Firma nicht zerstört. Es kann Vertrauen aufgebaut werden, wenn alle mitziehen.

Wer jetzt denkt ich sei in einem Unternehmen untergekommen, in welchem mindestens 50 Prozent im Home Office sitzen, der irrt. Diese Leute kann man aktuell wahrscheinlich nicht einmal an einer Hand abzählen und nach meiner Einstellung hatte ich den Eindruck, dass die Option remote zu arbeiten, bei späteren Neueinstellungen, gar nicht mehr zur Debatte stand.

Mein Vorstellungsgespräch hatte mehrere Akte und ich spürte immer wieder deutlich, wie groß die Angst ist einen neuen Mitarbeiter einzustellen, der nicht nur im Home Office arbeiten soll, sondern auch noch 250km vom nächsten Standort entfernt ist. Ein Vertrauensvorschuss den man als Unternehmen nicht gerne gibt, vor allem dann nicht, wenn ein solcher Vorschuss in der Vergangenheit mehrmals schief gelaufen war. Ich verstehe das.

Für mich gab es jedoch keine andere Option, denn ich hatte mich bewusst nur auf Stellen beworben, von denen ich wusste, dass daraus kein klassischer Bürojob werden würde. Auch ich hatte meine Ängste und Sorgen. Ich habe Mut gebraucht, um meinen unbefristeten Job zu kündigen, alleine in eine neue Wohnung zu ziehen und mit allem gefühlt wieder von vorne anzufangen. Nicht zu vergessen, meine ständige Angst den Anforderungen nicht zu genügen, da ich meinen eigenen Wert nicht kannte.

Als es dann im Bewerbungsgespräch um mich persönlich als Mensch ging, um mich privat und meine Hobbies, da war mir klar, dass ich mir entweder gleich ins Bein schießen würde oder sie mich einfach annehmen wie ich bin, mit dem was mich ausmacht: dem Laufen.

Nach einem verlegenem Grinsen, versuchte ich nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern kam ganz langsam vom „Sporttreiben“, zum Laufen und dann zu dem was ich eigentlich am liebsten tat: richtig lange laufen und meiner Teilnahme an Ultras. Danach sagte ich noch: „Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, dass ich den ganzen Tag nur am Laufen bin…“

Plötzlich erhellten sich die beiden Gesichter vor mir und das Eis war gebrochen. Ich fand heraus, dass es ihnen wichtig ist, dass jeder etwas hat, woran das Herz hängt, was nichts mit der Arbeit zu tun hat. Die Schlussworte werde ich auf ewig nicht vergessen: „Hach, das war ja jetzt ein richtig schönes, erfrischendes Gespräch! Ich kann mir jetzt richtig gut vorstellen, dass du im Home Office gut klarkommst.“

Und nun, knapp 3 Jahre später… here I am. Glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben, mit allen Höhen und Tiefen, vor denen man auch zu Hause nicht gefeit ist. Die Frage ist wie man damit umgeht. Wer im Büro kein Mensch ist, der sich gut organisieren und strukturieren kann, der hat natürlich dann verstärkt ein Problem von zu Hause aus zu arbeiten. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch für mich, dass es im Büro auch nicht zur vollsten Zufriedenheit klappt, aber eventuell eine Hilfestellung ist.

Meine Wenigkeit ist vollkommen strukturiert, vor allem wenn es um meinen Tagesablauf geht. Da ich mir selbst schon genug Druck mache, versuche ich mir von außen so wenig wie möglich und soviel wie nötig Druck abzuholen. Ich schlafe bspw. schon seit Jahren ohne Wecker und wache trotzdem immer um die gleiche Zeit auf (das kann man trainieren). Ich würde nie auf die Idee kommen mich nochmal umzudrehen, weil das einfach kein Teil meiner Routine ist. Simple Sachen wie Bett machen, lüften, Zähneputzen, ein kurzer Spaziergang mit Mori, der erste Kaffee und Tee und dann kann ich arbeiten. Manchmal am Schreibtisch, manchmal am Esstisch, manchmal auf der Couch oder auf dem Boden. Wenn die Luft raus ist und kein Meeting ansteht, gehe ich mit meinem Hund laufen, dusche, esse ein paar Datteln und arbeite den Rest ab. Meistens erledige ich den „ganz großen Mist“ schon sehr früh am Morgen, sodass der Nachmittag dann in der Regel zum Ausklang vom Arbeiten wird und ich um spätestens 16:30h weg vom Bildschirm bin. (Aber auch hier, Ausnahmen bestätigen die Regel).

Ich laufe viel durch die Wohnung, denke nach, streichele meinen Hund, mache mir einen Tee und weiß dann oft plötzlich wie ich etwas lösen kann. Wenn ich extrem müde bin, dann lege ich mich auch mal für 20 Minuten ins Bett. Keine Firma kann mir das vor Ort bieten. Qualitativ ist meine Arbeit sehr viel besser, weshalb ich nun auch kein Junior mehr bin, sondern ein alter Senior Hase 😉

Home Office kann durchaus „romantisch“ sein, wenn man es wirklich möchte. Wer tatsächlich die Grenze von Arbeit und Privatleben braucht, dem sei auch diese Option gegönnt. Zu den negativen Seiten des Home Office zählt für mich bspw. das Gefühl besonders gut sein zu müssen. Ich habe so oft schon die Qualität meiner Arbeit massiv unterschätzt oder fühlte mich anfangs schlecht, wenn ich in meiner Mittagspause laufen ging. Einfach weil ich für mich persönlich ein Leben lebe, in dem ich mich in der Regel total frei fühle. Das Wissen, dass ich jederzeit das Haus verlassen, oder noch in Laufklamotten, ungeduscht ein Meeting halte und ich alle Optionen habe, meinen Tag größtenteils nach meinen Wünschen zu gestalten, nimmt mir einen großen Teil des Drucks den ich habe, wenn ich in einem Büro arbeiten würde.

Und noch etwas was ich gelernt habe: Es kommt nicht auf die Stechuhr an, also auf die Quantität, es ist letzten Endes die Qualität. Und wie die zustande kommt, darum muss sich jeder einzelne selbst kümmern. Wenn Qualität zu erbringen krank macht, man unglücklich, vielleicht sogar mental darunter leidet, dann muss man etwas ändern. Man muss nicht selbstständig werden, um das Gefühl zu haben sein eigener Herr zu sein. Auch eine lange Krankschreibung richtet wenig aus. Ich kann was das Thema Psyche angeht, eine sehr langes, leidvolles Lied singen. Aber nicht heute.

Meine Beobachtungen zu Phase 2: Die Wälder platzen aus allen Nähten, auch wenn nur noch Familien oder 2er-Paare spazieren gehen, ist es irgendwie zu voll. Die Menschen sind weniger beschwingt als in Phase 1.

Was tut man, wenn man das Leben vor dem Lockdown mit Restaurantbesuchen, Kultur, Shopping und Partys füllte? Ich glaube diese Frage haben sich sehr viele Menschen zwangsläufig stellen müssen. Plötzlich entdecken noch mehr von ihnen die Natur für sich. Gleichzeitig häufen sich Home-Workouts, Kochen und Backen und Stories und Beiträge über Strukturprobleme, Survival-Tipps fürs Home Office, als wüsste niemand mehr da draußen etwas mit sich selbst anzufangen. Es schockiert mich wirklich. Entweder es ist ein Zur-Schau-stellen was man kann, alles hat und wie man es tut oder es ist die pure Langeweile. Ich habe mal gehört, aus Langeweile entsteht Kreativität …

Mir geht der Vergleich kleiner Kinder nicht aus dem Kopf, die nicht in der Lage sind in eigenen Fantasiewelten zu versinken, mit einem Stift zu malen (der nicht spricht), aber bereits schon ein Smartphone bedienen können. So verhält sich gerade die Generation Home Office!

Da werden Baumärkte leer gekauft, der Garten umgegraben oder es wird mit dem Laufen angefangen. Andere hören vielleicht wegen fehlender Wettkämpfe wieder damit auf. Die Menschheit möchte beschäftigt werden. Manche finden für sich gute Alternativen, andere verfolgen die Nachrichten als hinge ihr Leben davon ab und die Gespräche drehen sich nur noch um das was die Medien gerade vorgeben – Überraschung: es ist Corona.

Wenn ich dann noch Videos über Menschen mit Depressionen wegen Corona sehe, die besagen, dass die Person sich den ganzen Tag mit Arbeit und Freunden und Weggehen ablenkt, um nicht mit sich und ihren Gedanken allein sein zu müssen – dann ist das kein gesundes Muster gewesen. Auch hier: ich möchte nicht alles über einen Kamm scheren, es gibt sicher genug Menschen die triftige Gründe haben, weshalb sie unter dem Lockdown leiden und das möchte ich nicht herunterspielen.

Was war, als es Netflix und Co noch nicht gab? Wie machen das eigentlich die Menschen im tiefsten Nepal? In der Regel sind die Menschen die minimalistisch leben und für ihre Familie sich selbst sorgen können (bspw. durch Landwirtschaft) doch die glücklichsten. Ich glaube diese Menschen sind noch in der Lage wirklich zu entspannen, wenn es gerade mal nichts zu tun gibt. Auch die Fähigkeit im Moment zu leben hat enorme Auswirkungen auf das was wir empfinden.

Aber was tun wir? Wir halten uns selbst nicht aus. Wir ertragen keine Stille. Und wisst ihr was? Seit dem Lockdown habe ich mein Leben noch etwas stiller werden lassen – es kam ganz schleichend und ich habe es einfach geschehen lassen. Ich schaue alleine kein Fernsehen mehr, ich höre kaum Musik und beim Laufen gänzlich nicht mehr. Ich kann es nicht nur aushalten, einfach mal nichts zu tun, ich genieße es auch. Man kann lernen wieder in den Kontakt mit sich selbst zu treten, auch wenn sich das zunächst nicht so angenehm anfühlt. Ich selbst bin immer noch dabei daran zu arbeiten.

Ich finde man sollte nicht so hart mit sich ins Gericht gehen, nur weil man scheinbar kein aufregendes Leben (mehr) hat. Mir sind Reisen und meine (längeren) Wettkämpfe Aufregung genug (gewesen), sodass ich gerne auch einfach lange mal nur zu Hause bin, um wieder Energie zu tanken und mich auszuruhen. Auch deshalb habe ich mir meine Wohnung so gestaltet, dass ich gerne dort bin. Meine Ansprüche schrauben sich automatisch herunter, wenn ich von einem intensiven Lauf zurück komme und die Grundbedürfnisse wie essen und schlafen um ein Vielfaches mehr befriedigend wirken als sonst. Ich denke wir müssen wieder lernen, dass es okay ist, nicht getrieben zu sein.

Körperliche Auslastung holt uns runter und bringt uns wieder auf den Boden der Tatsachen. An Ruhetagen merke ich beispielsweise, wie diese Getriebenheit wieder durchbrechen möchte. Eigentlich ist es nur der Wunsch in uns das Leben mit Sinn zu füllen. Die Menschen rennen so vielen materiellen Dingen hinterher und wundern sich, warum sie auf Dauer nie richtig zufrieden sind. Ich nehme mich da nicht aus. Ohne den Sport wäre ich wohl auch ständig auf der Suche im Außen, um mein Leben interessanter zu gestalten.

Abschließend bleibt zu sagen: genießt diese Zeit auf ihre eigene Weise. Orientiert euch an dem was euer Bauchgefühl sagt und nicht was das Außen vorgibt. Seht die Wettkampffreie Zeit als „Geheimtraining“ an und wenn es wieder darauf ankommt seid ihr vorbereitet. Habt viel Kontakt mit Tieren. Meine Hündin hat mir in den 10 Monaten die sie bei mir ist Gelassenheit gelehrt. Unter anderem dadurch, dass sie sich morgens auf der Wiese einfach länger Zeit lässt und damit kurz meine Routine unterbricht. Nicht zu schweigen mit den Nerven, die sie mich anfangs gekostet hat.

Lebe im Moment!

Reflektiert euch jeden Tag, spürt wenn ihr gerade dabei seid euch aufzuregen und fragt euch dann: wieso? Wenn euch morgen ein Backstein auf den Kopf fällt, dann geht das Leben trotzdem weiter. Eure Firma wird ohne euch auskommen. Blickt immer wieder auf euer Leben und fragt euch, ob es in die Nähe eurer Wünsche und Vorstellungen kommt, oder ob Menschen, Dinge, Gedanken, Gefühle es wirklich wert sind. Dazu möchte ich auch ein Buch empfehlen „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“.

Macht was aus dieser Zeit und die die noch kommen mag 🙂

— Jamie

4 Gedanken zu “Meine Gedanken aus 3 Jahren Home Office zu Covid-19

  1. Hi Jamie,

    danke für deine Gedanken zur Aktuellen Situation. Nicht nur zur Allgemeinen, auch zu einer Situation welche für rechte viele neu ist: Home Office. So auch für mich und daher hier ein paar (unstrukturierte) Gedanken:

    Mein Arbeitgeber hält es mit dem Home Office nicht so („Es gibt Leute die hier im Büro schon nicht arbeiten,was sollen diese dann im Home Office?“). Und wenn ich mich dann doch mal durchsetzten konnte? Weil ich ja zu denen gehöre „die sich Arbeit suchen wenn Sie nichts zu tun haben“? Dann gibt es schöne Worte mit auf den Weg: „Bitte aber an die Bürozeiten halten damit du jederzeit erreichbar bist, falls etwas sein sollte!“ … so ganz ist es mit dem Vertrauen dann doch nicht her. Das, wenn man aber daheim im Home Office mit Familie sich nicht an die Bürozeiten halten kann, man aber gerne auch abends seine Stunden leiste möchte … wird nicht gesehen und angenommen. Für was gibt es Ticketsysteme? Egal wie, es gibt Arbeitgeber die diese Zeit und Chance an sich vorbeiziehen lassen und hoffen sie (Zeit und Chance) komme nie wieder.

    Durch meinen Arbeitgeber (Krankenhaus), meiden mich aber auch so schon sehr viele Bekannte, Verwandte und Freunde. Da ist man auch nicht bereit Spazieren zu gehen, selbst wenn dies der aktuellen Norm entsprechen würde. Die Argument? Nicht immer rational dafür mit viel Emotionen verbunden; „Wenn du seit 14 Tagen im Home Office arbeiten würdest, dann könnten wir schon mal eine Runde laufen.“ Danke für das Gespräch.

    Ich kann diesen Personen aufgrund der aktuellen Situation nicht böse sein. Wie würde ich an ihrer Stelle handeln?

    Egal wie: wenn man nicht im Home Office arbeitet, aber der Arbeitgeber dazu führt das keiner mit einem Kontakt haben möchte (spazieren/laufen), hofft man einfach nur noch auf ein Ende der ganzen (globalen) Situation.

    Danke dir Jamie für diesen Artikel und den einen oder anderen Gedanken(anstoß).

    Bis demnächst auf den (Home)Trails

  2. Hi, danke für deinen ehrlichen und ausführlichen Kommentar 🙂 Ich kenne einige solcher Aussagen, die belegen, dass da Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fehlt. Oft ist es denke ich auch eine Art kleiner „Kontrollzwang“, der mit Home Office nicht mehr ausgelebt werden kann. Ich denke dass diese Krise eventuell in einigen Fällen genau das beweisen kann – nämlich, dass man sich gegenseitig vertrauen kann und die Arbeit dennoch zur Zufriedenheit erledigt wird.

    Auch dieses vermehrte Daraufhinweisen, dass man ja erreichbar ist etc habe ich selbst schon erlebt. Das gibt einem ein dumpfes Gefühl im Magen und es schürte bei mir immer die Gedanken, nicht gut genug zu sein, ich fühlte mich ertappt, obwohl es keinen Grund dafür gab.

    Gerade mit Familie ist das gerade eine Situation unter erschwerten Bedingungen, die Flexibilität von allen verlangt. 9 to 5 ist ein Konstrukt, was meiner Meinung nach Qualitätseinbußen nach sich zieht. Keiner kann mir erzählen, dass man 8 Stunden voll konzentriert arbeiten kann. Ob mit oder ohne Kinder. Es ist traurig zu sehen, dass einige Arbeitgeber solche Chancen für alle Beteiligten, bewusst verpassen. Ich glaube da spielt Angst eine große Rolle. Und ich hoffe wirklich, dass sich da in der Gesamtheit etwas im System verändern wird. Ich denke, es wird auch nach Covid-19 nichts mehr sein wie vorher und vielleicht ist das ein Anstoß für ein neues Denken der breiten Masse, worauf dann hoffentlich auch die eher „ängstlichen“ Unternehmen aufspringen werden. Gegen den Strom schwimmt man ja nicht so gerne 😉

    Ich drehe natürlich mit entsprechender Distanz auch jetzt schon gerne eine Runde mit dir durch den Taunus!

    Liebe Grüße,
    Jamie

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